copy the linklink copied!Kapitel 2. Sollten Unternehmen finanzielle Ausbildungsanreize erhalten?

Dieses Kapitel befasst sich mit finanziellen Anreizen für Unternehmen im Rahmen der Ausbildungspolitik. Dabei wird erörtert, inwieweit betriebliche Ausbildungen im öffentlichen Interesse sind, und beschrieben, wie den Ausbildungsbetrieben in den einzelnen Ländern über Steueranreize, Subventionen und Abgabensysteme Mittel zur Verfügung gestellt werden. Das Kapitel behandelt die mit finanziellen Anreizen verbundenen Herausforderungen und Risiken und beleuchtet alternative Maßnahmen, mit denen Länder die Attraktivität betrieblicher Ausbildungen für Unternehmen erhöhen können, einschließlich Mechanismen zur Verbesserung der innerbetrieblichen Ausbildung und zur Verringerung der Verwaltungskosten. Abschließend werden die zusätzlichen Ausbildungskosten betrachtet, mit denen sich kleine Ausbildungsbetriebe in der Regel konfrontiert sehen.

    

copy the linklink copied!Fragen und Herausforderungen

Zahlreiche Länder stehen vor der schwierigen Aufgabe, das betriebliche Ausbildungsplatzangebot zu erhöhen

Viele Länder haben Schwierigkeiten, Unternehmen für betriebliche Ausbildungen zu gewinnen. Die fehlende Unterstützung seitens der Betriebe stellt bei der Verbesserung bzw. beim Ausbau bestehender und beim Aufbau neuer Ausbildungsgänge häufig die größte Herausforderung dar. Eine entscheidende Frage besteht darin, inwieweit und in welcher Form betriebliche Ausbildungen mit öffentlichen Mitteln gefördert werden sollen, damit Unternehmen tatsächlich dazu ermutigt werden, Auszubildende aufzunehmen.

Der gesellschaftliche Nutzen betrieblicher Ausbildungen spricht für eine öffentliche Förderung

Wenn Unternehmen qualitativ hochwertige Berufsausbildungen für junge Menschen anbieten, übernehmen sie die Aufgabe, sie zu schulen und ins Erwerbsleben einzuführen. Dabei wird ein Mix aus unternehmens- bzw. berufsspezifischen und allgemeinen Kompetenzen (z.B. Teamwork, Lesekompetenz, alltagsmathematische Kompetenz) vermittelt, der den einzelnen Arbeitskräften eine Berufslaufbahn eröffnet und ihnen hilft, sich an sich verändernde Anforderungen anzupassen. Es gibt jedoch auch einen darüber hinausgehenden Nutzen für Staat und Gesellschaft, der sich in höheren Beschäftigungsquoten und einer höheren Produktivität, einer besseren Gesundheit, einer geringeren Abhängigkeit von Sozialmaßnahmen und niedrigeren Kriminalitätsraten niederschlägt. Schätzungen einer Studie aus den Vereinigten Staaten zufolge übersteigt der gesellschaftliche Nutzen die gesellschaftlichen Kosten im Lauf des Erwerbslebens eines Auszubildenden um mehr als 49 000 USD (Reed et al., 2012[1]). Dieser weiterreichende Nutzen für Staat und Gesellschaft rechtfertigt eine finanzielle Förderung der betrieblichen Ausbildung durch die öffentliche Hand.

Für den Staat sind betriebliche Ausbildungen im Allgemeinen kostengünstiger als schulische Ausbildungsgänge

Unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Ausgaben betrachtet, sind betriebliche Ausbildungen eine kostengünstige Strategie zur Entwicklung arbeitsplatzrelevanter Kompetenzen. Alternative Ausbildungsgänge schließen häufig die Vermittlung praktischer Kompetenzen im Rahmen schulischer Workshops ein, die teure Spezialausrüstungen und Lehrkräfte erfordern. Selbst wenn man die Kosten für öffentliche Zuschüsse berücksichtigt, sind betriebliche Ausbildungen für den Staat u.U. kostengünstiger als schulische Berufsbildungsgänge (Westergaard-Nielsen und Rasmussen, 1999[2]). Außerdem haben sie weitere Vorteile, die schulische Berufsbildungsgänge nur schwer bieten können (z.B. Auszubildende mit Arbeitgebern in Kontakt zu bringen bzw. sie an modernsten Geräten auszubilden) (OECD, 2010[3]).

Eine Form der Förderung sind staatlich finanzierte schulbasierte Lernangebote im Rahmen der betrieblichen Ausbildung junger Menschen

In Ländern, in denen in erster Linie junge Menschen betriebliche Ausbildungen absolvieren, führen Letztere ebenso wie die allgemeinbildenden Schulen und schulischen Berufsbildungsgänge zu einem Abschluss im Sekundarbereich II. Wenn die schulischen Bildungsgänge mit öffentlichen Mitteln finanziert werden, ist es in gewisser Hinsicht eine Frage der Gerechtigkeit, dass auch die betrieblichen Ausbildungen staatlich gefördert werden. Die schulbasierte Komponente betrieblicher Ausbildungen auf Sekundarstufe II wird im OECD-Raum in der Regel vom Staat finanziert und ist für die Auszubildenden kostenlos. In Ländern, in denen es sich bei den Auszubildenden mehrheitlich um Erwachsene handelt (wie z.B. in Kanada und den Vereinigten Staaten) und betriebliche Berufsausbildungen eine Alternative zu innerbetrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen darstellen bzw. zu einem postsekundären Abschluss führen, stellt sich die Situation etwas anders dar.

Kann von Unternehmen fairerweise erwartet werden, dass sie einen Teil der Ausbildungskosten tragen?

Da betriebliche Ausbildungen u.a. auch den Unternehmen zugutekommen, sollte nicht erwartet werden, dass der Staat alle damit verbundenen Kosten trägt. Auch die Ausbildungsbetriebe sollten einen Beitrag leisten, zumal sie davon profitieren, wenn sie Auszubildende beschäftigen (wegen eines Überblicks über die Fachliteratur vgl. Mühlemann (2016[4])). Ein Nutzen entsteht ihnen u.a. dadurch, dass die Auszubildenden produktive Arbeit leisten, wenn sie im Unternehmen tätig sind. Anfangs ist ihr Beitrag gering und sie verdienen im Allgemeinen sehr wenig. Doch mit zunehmender Erfahrung nähert sich ihr Produktivitätsniveau dem von Fachkräften an und sie sind immer noch billiger als diese (wegen weiterer Informationen zur Ausbildungsvergütung vgl. Kapitel 3). Nach Abschluss der Ausbildung bietet sich den Ausbildungsbetrieben zudem ein weiterer Vorteil: Sie können bei der Personalgewinnung Mittel einsparen, indem sie die besten Absolventen auswählen und weiterbeschäftigen, anstatt Arbeitskräfte vom externen Arbeitsmarkt anzuwerben (was weiter unten eingehender erörtert wird).

Die entscheidende Frage ist, wie betriebliche Ausbildungen mit öffentlichen Mitteln am besten gefördert werden können

Manchmal bieten Länder zusätzlich zur Finanzierung der schulbasierten Komponente Anreize, um die betriebliche Ausbildung zu fördern. Hierbei lassen sich zwei Grundformen unterscheiden:

  • Finanzielle Anreize, d.h. direkte Subventionen oder Steuervergünstigungen (vgl. den Überblick über die finanziellen Anreize in ausgewählten OECD-Ländern in Tabelle 2.1)

  • Nichtfinanzielle Anreize, d.h. Maßnahmen zur Senkung der Ausbildungskosten bzw. zur Erhöhung des Nutzens ohne finanzielle Leistungen

In Tabelle 2.1 sind Informationen über solche Anreize und ihre Wirkungsweise zusammengestellt.

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Tabelle 2.1 Finanzielle Ausbildungsanreize für Unternehmen

Steueranreize

Subventionen

Abgabensystem

Australien

Nein

Ja, im Rahmen des Programms Australian Apprenticeships Incentives erhalten anspruchsberechtigte Ausbildungsbetriebe eine Reihe von Zuschüssen.

Nein

Dänemark

Nein

Nein

Alle Unternehmen zahlen auf Basis der jeweiligen Zahl der Vollzeitmitarbeiter Beiträge in den Ausbildungsfonds Arbejdsgivernes Elevrefusion (AER) ein. Ausbildungsbetrieben werden die Ausbildungsvergütungen für die Zeit des Berufsschulbesuchs rückerstattet. Zudem zahlt der AER Zuschüsse, um die Bereitstellung zusätzlicher Ausbildungsplätze zu fördern.

Deutschland

Nein

Nein

Im Bausektor; ausgehandelt von Arbeitgebern und Gewerkschaften

England (Vereinigtes

Königreich)

Nein

Die Beiträge der Arbeitgeber, die die Abgabe zahlen, werden vonseiten des Staates um 10% aufgestockt. Zuschüsse für Unternehmen sowie Bildungs- und Berufsbildungseinrichtungen, die Ausbildungsplätze für 16- bis 18-Jährige anbieten

Allgemeine Abgabe in Höhe von 0,5% des Teils der Lohnsumme, der 3 Mio. Pfund übersteigt

Flandern (Belgien)

Lohnsummen- steuerabzug

Ja, je nach Zahl der Auszubildenden und Ausbildungsdauer, einschließlich Boni für Ausbilder und Auszubildende

Nein

Niederlande

2014 abgeschafft

Ja, für Ausbildungsbetriebe (max. 2 700 EUR jährlich pro Auszubildendem), abhängig von der Ausbildungsdauer und der Zahl der Ausbildungsbetriebe, die eine Förderung beantragen

Nein

Norwegen

Nein

Ja, pro Auszubildendem, abhängig von Merkmalen des Auszubildenden (z.B. Alter, Behinderung, schulische Leistung, Migrationsstatus, Geschlecht, Vorbildung) und des Sektors

Nein

Österreich

2008 abgeschafft und durch Förderungen ersetzt

Ja, je Lehrling (mit einem vom Lehrjahr abhängigen Förderbetrag) sowie für Weiterbildung der Lehrlinge und der Ausbilder, ausgezeichnete und gute Lehrabschlussprüfungen, Maßnahmen für Lehrlinge mit Lernschwierigkeiten sowie Maßnahmen für einen gleichmäßigen Zugang von jungen Frauen und Männern zu den verschiedenen Lehrberufen

Ausbildungsfonds: bundesweit im Bausektor und in Vorarlberg in der Elektro- und Metallindustrie; ausgehandelt von Arbeitgebern und Gewerkschaft

Schweiz

Nein

Nein

In einigen Branchen sind alle Betriebe verpflichtet, Beiträge zum branchenspezifischen Berufsbildungsfonds zu leisten. Der Bund kann Berufsbildungsfonds als im Interesse aller Unternehmen einer bestimmten Branche und damit allgemeinverbindlich erklären.

Anmerkung: Durch Steueranreize wird entweder die Bemessungsgrundlage oder die Steuerschuld verringert. Hierzu zählen u.a.: 1. Steuerfreibeträge (Abzüge vom Bruttoeinkommen zur Ermittlung des steuerpflichtigen Einkommens); 2. Steuerbefreiungen (bestimmte von der Steuerbemessungsgrundlage ausgenommene Einkünfte); 3. Steuergutschriften (von der Steuerschuld abgezogene Beträge); 4. Steuererleichterungen (niedrigere Steuersätze für einige Steuerklassen und Tätigkeiten) und 5. Steuerstundung (Aufschub der Steuerzahlung).

Quelle: Kuczera, M. (2017[1]), “Striking the right balance: Costs and benefits of apprenticeship”, OECD Education Working Papers, No. 153, https://doi.org/10.1787/995fff01-en.

copy the linklink copied!Bei finanziellen Anreizen, die Unternehmen ermutigen sollen, Ausbildungsplätze anzubieten, ist Vorsicht geboten

Es gibt starke Argumente, die für die Förderung betrieblicher Ausbildungen mit öffentlichen Mitteln sprechen: Betriebliche Ausbildungen bereiten Menschen auf einen Beruf bzw. eine Berufslaufbahn vor und sie haben einen darüber hinausgehenden gesellschaftlichen Nutzen. Viele Länder stehen vor der Herausforderung, genügend betriebliche Ausbildungsplätze zu schaffen. Daher wurde häufig auf finanzielle Anreize zurückgegriffen, um Unternehmen zu ermutigen, mehr Ausbildungsplätze anzubieten. Ob ein Einsatz finanzieller Anreize wünschenswert ist, hängt u.a. vom Politikziel ab, das damit erreicht werden soll.

Finanzielle Anreize können Unternehmen geboten werden, die Auszubildende einstellen, um zu honorieren, dass sie damit eine Aufgabe übernehmen, die sonst dem Staat zufallen würde, nämlich junge Menschen auf eine Berufslaufbahn vorzubereiten. Mit diesem Argument lässt sich eine Förderung aller Ausbildungsbetriebe rechtfertigen, unabhängig davon, welche Auswirkungen dies auf das Ausbildungsplatzangebot hat.

Internationale Erfahrungen zeigen jedoch, dass bei finanziellen Anreizen Vorsicht geboten ist und dass sie sorgfältig evaluiert werden sollten.

  • Allgemeine Anreize in Form eines Pauschalbetrags für alle Ausbildungsbetriebe haben geringe Auswirkungen auf das betriebliche Ausbildungsplatzangebot.

  • Gezielte Anreize dienen dazu, die Ressourcen auf Ausbildungsplätze zu konzentrieren, die andernfalls nicht geschaffen worden wären. Damit können Unternehmen belohnt werden, die Auszubildende mit bestimmten Merkmalen (z.B. sozioökonomisch benachteiligte Jugendliche oder Menschen mit Behinderungen) einstellen, oder sie werden lediglich für bestimmte Sektoren oder Arten von Unternehmen (z.B. kleine Unternehmen) angeboten. Solche Anreize können theoretisch wirksamer sein, die Umsetzung ist jedoch kostspieliger. Ob sie effektiv sind, hängt davon ab, wie zielgenau sie konzipiert wurden. Werden gezielte Anreize genutzt, sollte ihre Wirkung sorgfältig evaluiert und mit alternativen Instrumenten (z.B. Förderung der Ausbildungskapazitäten in Unternehmen) verglichen werden.

  • Bei angespannter Arbeitsmarktlage, Fachkräftemangel am externen Arbeitsmarkt bzw. einem erhöhten Risiko einer Abwerbung der intern ausgebildeten Arbeitskräfte durch andere Arbeitgeber ist es u.U. im Interesse der Unternehmen, eine Abgabe einzuführen, um die Ausbildungskosten gemeinsam zu tragen. Die über eine Abgabe aufgebrachten Mittel können dann genutzt werden, um Unternehmen Ausbildungsanreize zu bieten.

These 1: Allgemeine Anreize haben wahrscheinlich einen geringen Effekt

Finanzielle Anreize haben nur marginale Wirkung

Ein allgemeines Anreizsystem, bei dem allen Unternehmen für die Einstellung eines Auszubildenden ein Pauschalbetrag geboten wird, hat Vorteile: Es ist für den Staat kostengünstiger umzusetzen und für Ausbildungsbetriebe leichter nachvollziehbar. Der Gesamteffekt solcher Systeme ist jedoch zwangsläufig begrenzt, denn ein kleiner Anreiz für eine Vielzahl betrieblicher Ausbildungen wird nur bei sehr wenigen Unternehmen eine Verhaltensänderung bewirken, und zwar bei jenen, die mit einem geringen Betrag tatsächlich dazu gebracht werden können, einen oder mehrere Auszubildende(n) einzustellen.

Die Kosten-Nutzen-Bilanz am Ende der Ausbildung fällt je nach Unternehmen und Beruf unterschiedlich aus

Der geringe Effekt einer allgemeinen Förderung ist u.a. darauf zurückzuführen, dass der Nettonutzen, der sich für Unternehmen aus der betrieblichen Ausbildung ergibt, erheblich variiert. Auschlaggebend werden finanzielle Anreize nur für die Unternehmen sein, die zunächst davon ausgehen, dass sich betriebliche Ausbildungen nicht lohnen, und bei denen durch die Fördergelder eine negative Bilanz ausgeglichen oder sogar leicht positiv wird. Dies dürfte auf einen relativ kleinen Teil der Betriebe zutreffen. Der Nettonutzen für Ausbildungsbetriebe ist je nach Beruf (vgl. Abbildung 2.1 für Daten aus der Schweiz) und Unternehmensgröße sehr unterschiedlich (Mühlemann, 2016[4). Die Art des Berufs spielt insofern eine Rolle, als sich z.B. Gärtner-Auszubildende im Unternehmen rasch nützlich machen können, während angehende Elektroniker eine umfassende Ausbildung an teuren Geräten benötigen, um produktiv zu sein.

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Abbildung 2.1 In der Schweiz fällt der Nettonutzen betrieblicher Ausbildungen für die Ausbildungsbetriebe je nach Beruf sehr unterschiedlich aus
Abbildung 2.1 In der Schweiz fällt der Nettonutzen betrieblicher Ausbildungen für die Ausbildungsbetriebe je nach Beruf sehr unterschiedlich aus

Anmerkung: Referenzjahr 2009.

Quelle: Mühlemann, S. (2016[4]), “The cost and benefits of work-based learning”, OECD Education Working Papers, No. 143, https://doi.org/10.1787/5jlpl4s6g0zv-en.

StatLink 2 https://doi.org/10.1787/888933828391

Internationale Befunde sprechen kaum für allgemeine finanzielle Anreize

In Dänemark zeigten die Subventionen nur in den Sektoren Verarbeitendes Gewerbe, Büro und Einzelhandel Wirkung (Westergaard-Nielsen und Rasmussen, 1999[2]) und in Australien und Österreich hatten sie offenbar nur geringe Auswirkungen auf das betriebliche Ausbildungsangebot (Wacker, 2007[6]; Deloitte Access Economics, 2012[7]). Auf Schweizer Daten beruhende Forschungsarbeiten lassen darauf schließen, dass die Kosten zwar Einfluss auf die betriebliche Ausbildungsentscheidung haben, sich danach jedoch kaum darauf auswirken, wie viele Auszubildende aufgenommen werden. Damit die Förderung einen signifikanten Effekt hat, sollte der Schwerpunkt auf Unternehmen liegen, die nicht ausbilden, während jene, die bereits Auszubildende beschäftigen, ausgenommen werden sollten. Dies mag theoretisch sinnvoll erscheinen und wurde in einigen Ländern auch versucht, unter politischen und praktischen Gesichtspunkten könnte es aber als unfair bzw. als nicht umsetzbar erachtet werden (Mühlemann et al., 2007[8]).

These 2: Gezielte Anreize haben möglicherweise einen größeren Effekt, sind aber schwer umzusetzen

Finanzielle Anreize gezielt dort einzusetzen, wo sie etwas bewirken, ist theoretisch eine interessante Option

In einer wirtschaftswissenschaftlichen Modellwelt würden demnach nur jene Unternehmen gefördert werden, bei denen die zusätzlichen Mittel einen negativen Nettonutzen betrieblicher Ausbildungen ausgleichen oder leicht in den positiven Bereich verschieben würden. Der Förderbetrag würde dabei gerade so hoch angesetzt werden, dass die Betriebe dadurch ihre Haltung ändern und einen weiteren Auszubildenden einstellen – ein Euro mehr hieße, öffentliche Mittel an das Unternehmen zu verschenken, ein Euro weniger würde nichts bewirken.

Eine zielgenaue Ausrichtung ist allerdings schwierig

Welche Ausbildungsplätze ohne die zusätzlichen Mittel nicht angeboten worden wären, ist schwierig zu ermitteln. In einigen Systemen liegt der Fokus hierbei auf dem Kriterium der Zusätzlichkeit. Deutschland etwa führte 2008 den sogenannten Ausbildungsbonus ein, der auf junge Menschen abzielte, die keinen Ausbildungsplatz fanden. Er wurde allerdings zwei Jahre später mangels Wirkung wieder gestrichen (Bonin, 2013[9]). Wegen der Fluktuationsrate lässt sich u.U. schwer prüfen, ob ein Ausbildungsplatz tatsächlich zusätzlich geschaffen wurde. Außerdem könnte es als unfair empfunden werden, wenn Unternehmen mit einem stetigen und langjährigen Engagement als Ausbildungsbetrieb keine Förderung erhalten. In anderen Systemen liegt der Schwerpunkt auf Auszubildenden oder Berufen, bei denen die politischen Entscheidungsträger davon ausgehen, dass ohne Förderung weniger Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen würden. In Österreich, Australien und Norwegen haben Betriebe, die benachteiligte Auszubildende beschäftigen, Anspruch auf zusätzliche Fördermittel. Frankreich wiederum gewährt solchen Unternehmen höhere Steuervergünstigungen (vgl. Kapitel 6). Zuweilen liegt das Augenmerk auch auf bestimmten Berufen, in Australien etwa auf Mangelberufen und in Norwegen auf traditionellen Handwerksberufen (Kuczera, 2017[10]).

Bei gezielten Anreizen besteht die Gefahr, dass sich die Ausbildungsmaßnahmen von einer Gruppe auf eine andere verlagern

Wenn einer bestimmten Zielgruppe finanzielle Anreize geboten werden, wird möglicherweise ein Ausbildungsgang auf Kosten anderer ausgebaut. Manchmal sind solche Effekte beabsichtigt, denn mit den Förderkriterien sollen ja Prioritäten gesetzt werden. Zuweilen treten jedoch auch ungewollte Effekte auf. Ein niederländisches Steuergesetz aus dem Jahr 1998 etwa zielte darauf ab, Ausbildungsmaßnahmen für ältere Arbeitskräfte zu fördern, indem bei Ausbildungsangeboten für über 40-Jährige höhere Steuervergünstigungen gewährt wurden. Forschungsarbeiten zeigen aber, dass sich das Ausbildungsvolumen dadurch insgesamt kaum veränderte und sich die Ausbildungsmaßnahmen in geringem Maße von den knapp unter hin zu den knapp über 40-Jährigen verlagerten (Leuven und Oosterbeek, 2004[11]).

These 3: In einigen Branchen kann die Berufsbildung mit sektorspezifischen Abgaben gefördert werden

Abgaben sind ein Sonderfall, bei dem die Fördermittel von Unternehmen bereitgestellt werden

Im Fall von Ausbildungsabgaben stammen die Mittel für die finanziellen Anreize im Allgemeinen von den Unternehmen und nicht von den Steuerzahlern. Die Kosten der abgabenfinanzierten Förderungen werden von den Unternehmen gemeinsam getragen, wobei einige gewinnen und andere verlieren. Gewinner sind die, die wenig Abgaben zahlen, aber vom System profitieren, indem sie z.B. viele Auszubildende beschäftigen, für die sie eine abgabenfinanzierte Förderung erhalten. Ziel von Abgabensystemen ist es, dafür zu sorgen, dass die Ausbildungsbetriebe belohnt werden und die Unternehmen, die indirekt profitieren (wenn sie die von anderen Unternehmen ausgebildeten Arbeitskräfte einstellen), die Ausbildungskosten mittragen. Dies dürfte zu einem insgesamt besseren und sozial effektiveren Ausbildungsangebot führen, da das mit dem Trittbrettfahren einhergehende Marktversagen durch diese Maßnahme korrigiert wird. Solche Systeme haben nicht nur wirtschaftliche Effekte. Abgabensysteme, die eine direkte Beteiligung der Betriebe bei der Verwaltung des Ausbildungsfonds und der Prioritätensetzung vorsehen, sollen diesen im Allgemeinen stärker das Gefühl geben, dass sie die Berufsbildung mitgestalten und mitverantwortlich sind.

Branchenspezifische Abgaben werden von Unternehmen in der Regel stärker unterstützt

Einige Länder verfügen über spezielle Abgabensysteme zur Förderung der betrieblichen Ausbildung. In Dänemark und Frankreich werden die Ausbildungskosten von allen Unternehmen gemeinsam getragen. In England (Vereinigtes Königreich) wurde kürzlich eine landesweite Ausbildungsabgabe für größere Unternehmen eingeführt. Diese Reform wird mit Interesse verfolgt. In vielen Fällen wird die Ausbildungsabgabe nicht von allen Unternehmen erhoben. Sektorspezifische Abgaben werden eingeführt, wenn die Unternehmen einer Branche davon ausgehen, dass betriebliche Ausbildungen in ihrem gemeinsamen Interesse sind. In diesem Fall entscheiden sie sich möglicherweise für eine Zusammenarbeit, um die Berufsbildung durch eine Abgabe zu fördern. Das Interesse der Unternehmen an branchenspezifischen Abgaben ist in der Regel hoch und viele europäische Länder verfügen über derartige Systeme. Kostspielige betriebliche Ausbildungen, eine angespannte Arbeitsmarktlage, ein Fachkräftemangel am externen Arbeitsmarkt und ein hohes Abwerbungsrisiko durch andere Arbeitgeber sind starke Anreize für Unternehmen, eine solche Abgabe einzuführen. Allgemeinen Abgaben, die oft als eine Art Steuer wahrgenommen werden und bei denen die Betriebe wenig Kontrolle über die Mittelverwendung haben, stehen die Unternehmen generell skeptischer gegenüber (Müller und Behringer, 2012[12]).

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Kasten 2.1 Branchenspezifische Ausbildungsabgaben in der Schweiz

Auf Antrag von Organisationen der Arbeitswelt kann der Bundesrat branchenbezogene Berufsbildungsfonds allgemeinverbindlich erklären, sodass alle Unternehmen der Branche Solidaritätsbeiträge für die betriebliche Ausbildung zahlen müssen (z.B. für die Ausarbeitung von Regelungen, die Entwicklung und Bereitstellung von Lehrmitteln und Unterrichtsmaterialien). Die Höhe der Beiträge richtet sich nach der Lohnsumme der Betriebe. Derzeit gibt es fast 30 Berufsbildungsfonds. Den Angaben der Unternehmen zufolge haben die Fonds die Funktion, bei der Aufteilung der Berufsbildungskosten für mehr Solidarität zu sorgen. Eine Evaluierung ergab, dass es in gut organisierten Sektoren/Branchen einfacher ist, solche Berufsbildungsfonds einzurichten, und zeigte darüber hinaus, dass die mit den Fondsbeiträgen verbundenen Verwaltungskosten für die Betriebe so gering wie möglich und die Mittelverwendung transparent sein sollten. Die Auswirkungen dieser Fonds auf das Berufsbildungsangebot bzw. dessen Ergebnisse wurden noch nicht evaluiert.

Quelle: SBFI (2009[13]), “Evaluation Berufsbildungsfonds”, Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation, Schweizerische Eidgenossenschaft, https://www.sbfi.admin.ch/ sbfi/de/home/bildung/berufsbildungssteuerung-und--politik/berufsbildungsfinanzierung/ berufsbildungsfonds/evaluation-berufsbildungsfonds.html.; SBFI (2017[14]), “Allgemeinverbindlich erklärte Berufsbildungsfonds gemäss Art. 60 BBG”, Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation, Schweizerische Eidgenossenschaft, https://www.sbfi.admin.ch/sbfi/de/home/bildung/berufsbildungssteuerung-und-politik/ berufsbildungsfinanzierung/berufsbildungsfonds/allgemeinverbindlich-erklaerte-berufsbildungsfonds-gemaess-art--.html.

These 4: Finanzielle Anreize haben u.U. unerwünschte Nebeneffekte

Größere Unternehmen sind besser positioniert, um von einer finanziellen Förderung zu profitieren

Eine weitere Herausforderung in Bezug auf finanzielle Anreize besteht darin, dass sie großen Betrieben überproportional stark zugutekommen (Müller und Behringer, 2012[12]). Um eine finanzielle Förderung zu erhalten, müssen Unternehmen über die bestehenden Systeme (z.B. Anspruchskriterien und Antragsverfahren) informiert sein, entsprechende Ausbildungspläne erarbeiten, Anträge einreichen und die erforderlichen Nachweise erbringen. Dies ist für große Unternehmen mit dafür zuständigen Abteilungen und eigenem Ausbildungspersonal oft einfacher zu bewerkstelligen, vor allem wenn sie für mehrere Auszubildende dasselbe Verfahren nutzen. Für kleine Unternehmen ist es u.U. schwierig, die bestehenden Fördermöglichkeiten zu nutzen. Werden finanzielle Anreize geboten, ist es deshalb wichtig, kleinen Unternehmen den Zugang zu diesen Mitteln zu erleichtern.

Regelungen müssen sicherstellen, dass mit den finanziellen Anreizen keine schlechten betrieblichen Ausbildungen gefördert werden

Finanzielle – insbesondere große finanzielle – Anreize können manchmal dazu führen, dass Unternehmen aus den falschen Gründen Ausbildungsplätze anbieten. Betriebliche Ausbildungen sind mit Kosten verbunden, die Unternehmen ausgleichen können, indem sie sicherstellen, dass die Auszubildenden hoch produktiv werden, einen Beitrag zur Produktion leisten und in manchen Fällen nach Abschluss der Ausbildung weiterbeschäftigt werden. Dies erfordert ein Engagement für qualitativ hochwertige betriebliche Ausbildungen. Durch die Aussicht auf Förderung können betriebliche Ausbildungen aber auch für Unternehmen finanziell attraktiv werden, die die Auszubildenden kaum ausbilden. Dies war offenbar in Australien der Fall, wo die Abschaffung der Förderung in einigen Sektoren wie dem Dienstleistungssektor zu einem Rückgang des Ausbildungsplatzangebots führte (Pfeifer, 2016[15). In den betroffenen Sektoren fanden die Auszubildenden nach ihrem Abschluss selten eine Beschäftigung und diese schlechten Beschäftigungsergebnisse deuteten auf ein Qualitätsproblem hin (Mühlemann, 2016[4]).

copy the linklink copied!Um den Unternehmen Anreize zu bieten, sollten die Länder versuchen, die Kosten-Nutzen-Bilanz betrieblicher Ausbildungen zu verbessern, indem sie das System anpassen, Unterstützung anbieten und Kapazitäten aufbauen

Das Hauptaugenmerk sollte dabei auf nichtfinanziellen Anreizen liegen, die die Kosten-Nutzen-Bilanz für die Ausbildungsbetriebe verbessern. Hierzu zählen etwa Anpassungen in der Ausgestaltung der Ausbildungsgänge und eine Stärkung der betrieblichen Ausbildungskapazitäten. Regierungen und Sozialpartner können kleinere Ausbildungsbetriebe unterstützen, indem sie

  • Unternehmen ermutigen, Wege zu finden, die Verantwortung und die Risiken im Zusammenhang mit betrieblichen Ausbildungen gemeinsam zu tragen,

  • Einrichtungen fördern, die mit Gruppen kleiner Unternehmen zusammenarbeiten, um die Ausbildung zu koordinieren,

  • kleine Ausbildungsbetriebe bei der Verwaltung und beim Angebot betrieblicher Ausbildungen unterstützen.

Internationale Befunde sprechen kaum für finanzielle Anreize. Es gibt aber eine Vielzahl anderer Möglichkeiten, die Attraktivität betrieblicher Ausbildungen für Unternehmen zu erhöhen. Die Ausbildungsgänge können (wie in Kapitel 1 erörtert) unternehmensfreundlicher gestaltet und mithilfe von Kapazitätsaufbaumaßnahmen verbessert werden, die der Unterstützung der Betriebe und der Optimierung der Ausbildungsergebnisse dienen.

These 1: Wenn Ausbildungsbetriebe unterstützt werden, können sie eine günstigere Kosten-Nutzen-Bilanz erzielen

Betriebliche Ausbildungen können gefördert werden, indem die Ausbildungskapazitäten der Unternehmen gestärkt werden

Eine Möglichkeit, Unternehmen zu helfen, mit betrieblichen Ausbildungen höhere Erträge zu erzielen, besteht darin, sie dabei zu unterstützen, eine bessere Ausbildung anzubieten. Eine bessere Ausbildung bringt Unternehmen einen größeren Nutzen: Durch eine umsichtige Führung können die Auszubildenden besser in den Produktionsprozess eingebunden werden, sie erwerben rascher Kompetenzen und tragen dadurch früher zur Produktion bei. Die Ausbildungskapazitäten eines Unternehmens hängen von der Qualität der Ausbilder, den Ausbildungsmethoden und den verwendeten Arbeitsmitteln ab. Maßnahmen zur Verbesserung der Ausbildungskapazitäten sind bei kleinen Unternehmen, die nicht über eigenes Ausbildungspersonal verfügen, u.U. besonders effektiv und erleichtern ihnen die betriebliche Ausbildung. Kapitel 5 befasst sich eingehender mit Politikmaßnahmen zur Verbesserung der betrieblichen Ausbildungskapazitäten.

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Kasten 2.2 Externe Einrichtungen zur Unterstützung der betrieblichen Ausbildung

Australien

Group Training Organisations (GTO) sind großenteils Organisationen ohne Erwerbszweck, die mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, wobei auch die Ausbildungsbetriebe einen Teil der Kosten tragen. GTO beschäftigen Auszubildende und stellen sie ausbildenden Unternehmen leihweise zur Verfügung, manchmal mit besonderer Fokussierung auf einen bestimmten Wirtschaftsbereich oder eine bestimmte Region. Zu ihren Aufgaben gehört es, Auszubildende auszuwählen, die den Erfordernissen der Ausbildungsbetriebe gerecht werden, die inner- und die außerbetriebliche Ausbildung zu organisieren und zu überwachen, Verwaltungsaufgaben wahrzunehmen und sicherzustellen, dass die Auszubildenden eine breitbasierte Ausbildung erhalten, was manchmal mit einem Einsatz in mehreren Unternehmen einhergeht.

Quelle: OECD (2010[3]), OECD-Studien zur Berufsbildung: Lernen für die Arbeitswelt, https://doi.org/10.1787/9789264087842-de.

Norwegen

Ausbildungsbüros (opplæringskontor) sind im Besitz von Unternehmen und werden über staatliche Zuschüsse finanziert (wobei Unternehmen in der Regel die Hälfte der Ausbildungsförderung, die sie erhalten, an die Ausbildungsbüros weitergeben). In ihren Aufgabenbereich fallen die Schaffung neuer Ausbildungsplätze, die Überwachung von Ausbildungsbetrieben, die Schulung von Ausbildern und die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben. Viele Ausbildungsbüros organisieren den theoretischen Teil der Ausbildung und unterzeichnen im Auftrag der Ausbildungsbetriebe die Ausbildungsverträge. Etwa 70-80% der ausbildenden Unternehmen arbeiten mit Ausbildungsbüros zusammen. Forschungsarbeiten belegen, dass sie maßgeblich zur Förderung betrieblicher Ausbildungen und zu deren Qualitätssicherung beitragen.

Quelle: Høst, H. (2015[16]), Kvalitet i fag- og yrkesopplæringen, Sluttrapport, Fafo-rapport 2015:32, www.fafo.no/index.php/zoo publikasjoner/fafo rapporter/item/kvalitet-i-fag-og-yrkesopplaeringen-sluttrapport-2; Høst, Skålholt und Nyen, (2012[17]), The OECD International Survey of VET Systems, 2007 – Norwegen (unveröffentlicht).

Auch externe Einrichtungen können Ausbildungsbetrieben zusätzliche Unterstützung bieten

In mehreren Ländern wurden externe Einrichtungen geschaffen, die einige der Aufgaben im Zusammenhang mit betrieblichen Ausbildungen übernehmen. Hierzu zählen u.a. die Suche nach geeigneten Auszubildenden und die Erledigung administrativer Aufgaben. In manchen Ländern unterzeichnen sie sogar die Ausbildungsverträge mit den Auszubildenden, die sie Unternehmen dann für die Ausbildung leihweise zur Verfügung stellen. Solche Strukturen können Ausbildungen für Betriebe einfacher und kostengünstiger machen. Einige von ihnen haben die Aufgabe, Ausbildungsplatzsuchende an Betriebe zu vermitteln. Je nach Land werden diese Einrichtungen von den Ausbildungsbetrieben selbst oder von Dritten verwaltet.

Das Ausbildungsplatzangebot kann mithilfe von Rechtsetzungsmaßnahmen erhöht werden

Die einfachste Form solcher Maßnahmen sind personalbezogene Vorgaben. In England (Vereinigtes Königreich) zum Beispiel sollten einer neuen Zielvorgabe zufolge bei größeren Arbeitgebern des öffentlichen Sektors (mit mehr als 250 Beschäftigten) mindestens 2,3% der Belegschaft Auszubildende sein. Eine andere Möglichkeit besteht darin, Ausbildungsbetriebe bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zu bevorzugen. Die Evaluierung einer solchen Maßnahme in der Schweiz (Leiser und Wolter, 2017[18]) zeigte, dass sich dadurch in kleinen Betrieben und in Branchen, in denen öffentliche Aufträge einen wesentlichen Teil der Geschäftstätigkeit ausmachen, das Ausbildungsplatzangebot erhöht hat und zugleich die Ausbildungsqualität gesichert wurde. Die Bevorzugung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge scheint ein vielversprechender Ansatz zu sein, da er relativ kostengünstig ist und einen positiven Effekt hat. Er kann allerdings auch mit Nachteilen verbunden sein: 1. In einigen hochspezialisierten Unternehmen gibt es Nischenberufe, die keinem der allgemein anerkannten berufsqualifizierenden Abschlüsse entsprechen, sodass sie bei der öffentlichen Auftragsvergabe u.U. diskriminiert werden. 2. Wenn ein begrenzter Pool qualifizierter Ausbildungsplatzbewerber von größeren Unternehmen abgeschöpft wird, kann es sein, dass kleine Unternehmen diskriminiert werden. Und 3. kann die Maßnahme in bestimmten Branchen und Berufen, in denen öffentliche Aufträge weitverbreitet sind (wie im Baugewerbe), zu einem Überangebot an Ausbildungsplätzen führen (Mühlemann, 2016[4]; Leiser und Wolter, 2017[18]).

These 2: Kleine Unternehmen erfordern spezielle Aufmerksamkeit

Kleine Unternehmen sehen sich mit besonderen Hemmnissen konfrontiert

Viele Länder zeigen sich besorgt, dass kleinere Unternehmen zögern könnten, Ausbildungen anzubieten. Zudem wurde ins Treffen geführt, dass die Mittel aus Ausbildungsabgaben häufig größeren Betrieben zugutekommen (Johanson, 2009[19]; Dar und Whitehead, 2003[20]; Cedefop, 2011[21]; Müller und Behringer, 2012[12]). Kleineren Unternehmen fehlt es möglicherweise an Kapazitäten für die Planung und die Ermittlung des Ausbildungsbedarfs, sodass ihre betriebliche Ausbildungspraxis weniger effizient ist. Große Unternehmen dagegen können mit einem Ausbilder mehrere Personen ausbilden und die Fixkosten, die aufgrund administrativer Anforderungen anfallen, leichter tragen. Hinzu kommt, dass kleine Firmen vielleicht nicht in der Lage sind, das gesamte Kompetenzspektrum abzudecken, das für bestimmte berufsqualifizierende Abschlüsse erforderlich ist. Internationale Daten zeigen, dass kleine Unternehmen in der Tat seltener betriebliche Ausbildungen anbieten. In der Schweiz etwa steigt die betriebliche Ausbildungsbeteiligung mit der Unternehmensgröße deutlich an (Bliem, Petanovitsch und Schmid, 2016[22). Während rd. 25% der Unternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten ausbilden, sind es bei den großen Unternehmen mit mindestens 100 Beschäftigten 80% (Mühlemann, 2016[4). Simulationen zu betrieblichen Ausbildungen in England ergaben, dass es Unternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten schwerfällt, einen Nettonutzen zu erzielen. In Branchen, in denen Auszubildende eine entscheidende Rolle spielen, bedarf es daher u.U. gezielter Maßnahmen, um das Ausbildungsplatzangebot zu fördern (Wolter und Joho, 2018[23]).

Kleine Betriebe bauen in geringerem Maße auf den langfristig zu erwartenden Nutzen als Großbetriebe

Die kurzfristige Bilanz (d.h. die Bilanz im Verlauf der Ausbildung) fällt bei großen Unternehmen nicht besser aus als bei kleinen. Denn die betriebliche Ausbildung großer Unternehmen mag zwar effizienter sein, dieser Vorteil wird jedoch dadurch ausgeglichen, dass sie tendenziell häufiger in kostspieligen technischen Bereichen ausbilden (Mühlemann, 2016[4). Unterschiede gibt es beim längerfristig zu erwartenden Nutzen: Bei kleineren Unternehmen ist das Nutzenpotenzial durch eine Übernahme von Ausbildungsabsolventen geringer. Zurückzuführen ist dies u.a. darauf, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Ausbildungsabsolventen als Fachkräfte übernommen werden, mit der Unternehmensgröße steigt (für Daten aus Deutschland und der Schweiz vgl. Abbildung 2.2). Dies kann daran liegen, dass kleine Unternehmen ihren Absolventen keine Stelle als Fachkraft bieten können, oder daran, dass diese lieber für größere Unternehmen arbeiten, wo sie bessere Karriereaussichten haben. Selbst wenn kleine Unternehmen ihre Ausbildungsabsolventen als Fachkräfte übernehmen, ist dies mit geringeren Einsparungen verbunden als bei Großbetrieben. Das Einsparungspotenzial hängt nämlich von den Kosten der Alternativlösung (d.h. der Einstellung eines externen Bewerbers) ab und die Personalgewinnungskosten sind in kleineren Unternehmen in der Regel geringer. Dies hängt zum Teil mit der Art der angebotenen Stellen zusammen: Größere Unternehmen sind häufiger in technischen Branchen tätig, in denen neue Mitarbeiter anfangs kostspielige Schulungen benötigen, was die Personalgewinnungskosten erhöht. Außerdem beschäftigen kleine Unternehmen in vielen Fällen jeweils nur einen Auszubildenden, sodass es riskant wäre, auf eine mögliche Weiterbeschäftigung zu bauen, um die Ausbildungskosten auszugleichen. Sollte der Auszubildende zum Beispiel nach dem dritten oder vierten Ausbildungsjahr beschließen, ein anderes Stellenangebot anzunehmen, bräuchte das Unternehmen erneut drei oder vier Jahre, um die freie Stelle zu besetzen (Mühlemann, 2016[4]). Ein größeres Unternehmen mit mehreren Auszubildenden geht ein geringeres Risiko ein. Wenn sich ein Auszubildender für eine andere Stelle entscheidet, kann immer noch einer der übrigen Auszubildenden übernommen werden. Da also nicht von einem langfristigen Nutzen durch eine Weiterbeschäftigung auszugehen ist, bilden viele kleine Unternehmen nur dann aus, wenn sich ihre Investition bis zum Ende der Ausbildung amortisiert.

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Abbildung 2.2 Übernahmequoten von Auszubildenden (nach Zahl der Beschäftigten)
Abbildung 2.2 Übernahmequoten von Auszubildenden (nach Zahl der Beschäftigten)

Anmerkung: 2012-2013 für Deutschland und 2009 für die Schweiz.

Quelle: Nach Mühlemann, S. (2016[4]), “The cost and benefits of work-based learning”, OECD Education Working Papers, No. 143, https://doi.org/10.1787/5jlpl4s6g0zv-en.

StatLink 2 https://doi.org/10.1787/888933828410

Kleine Unternehmen können maßgeblich zur betrieblichen Ausbildung beitragen

Trotz dieser Hemmnisse stellen kleine Unternehmen in den OECD-Ländern einen beträchtlichen Teil der Ausbildungsbetriebe. In Ländern, für die Daten aus der Erhebung über die Kompetenzen Erwachsener (die aus der Internationalen Vergleichsstudie der Kompetenzen Erwachsener (PIAAC) hervorgegangen ist) zur Verfügung stehen, d.h. in Australien, Dänemark, Kanada, den Niederlanden und Österreich, sind mehr als die Hälfte aller Auszubildenden in Unternehmen mit höchstens 50 Beschäftigten tätig (Kuczera, 2017[10). In Deutschland arbeiten 39% der Auszubildenden in Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten (BIBB, 2017[24).

Dies spiegelt sowohl den großen Anteil kleiner Unternehmen in den OECD-Volkswirtschaften wider als auch die Tatsache, dass kleine Ausbildungsbetriebe in der Regel „intensiver“ ausbilden als große. In einigen Ländern mit umfassenden Ausbildungssystemen ist die Zahl der Auszubildenden im Verhältnis zur Gesamtzahl der Beschäftigten, d.h. die Ausbildungsquote, bei kleinen Ausbildungsbetrieben höher und sinkt mit der Unternehmensgröße. In der Schweiz etwa lag die Ausbildungsquote in Ausbildungsbetrieben mit weniger als 10 Beschäftigten zwischen 7,5% und 9%, in Ausbildungsbetrieben mit 50-99 Beschäftigten bei 4% und in Ausbildungsbetrieben mit mehr als 1 000 Beschäftigten bei 3%. In Österreich belief sie sich in Ausbildungsbetrieben mit weniger als 50 Beschäftigten auf 5%, während sie in Ausbildungsbetrieben mit mehr als 50 Beschäftigten bei knapp unter 4% lag (Bliem, Petanovitsch und Schmid, 2016[22).

copy the linklink copied!Schlussbetrachtungen

In diesem Kapitel ging es darum, ob Unternehmen finanzielle Ausbildungsanreize gebo-ten werden sollten, und legt dar, dass einiges für eine öffentliche Förderung betrieblicher Ausbildungen spricht. Es ist eine Frage der Fairness, dass alle jungen Menschen bei der Vorbereitung auf das Berufsleben ein vergleichbares Maß an Unterstützung erwarten können. Zudem führen die guten Beschäftigungsergebnisse bei betrieblichen Ausbildungen zu einer Nettoersparnis für den Staat. Die Länder sollten Anreize wie Steuervergünstigungen und Subventionen für Ausbildungsbetriebe in Betracht ziehen. Dabei ist allerdings große Vorsicht geboten, da ein erhebliches Risiko besteht, dass die Förderung nicht zum gewünschten Verhalten führt. Eine Ausnahme bilden – insbesondere in bestimmten Sektoren – Ausbildungsabgaben für Unternehmen, die so gestaltet werden können, dass sie deren Eigenverantwortung im Hinblick auf die Ausbildung stärken. Sinnvoller ist es, die Fördermittel für Maßnahmen zu nutzen, die bewirken, dass die Auszubildenden rascher Kompetenzen erwerben und somit produktiv werden. Hierzu zählen u.a. eine qualitative Verbesserung der betrieblichen Ausbildung und eine Verringerung der damit verbundenen Verwaltungskosten. Die Kosten sind für kleinere Ausbildungsbetriebe strukturell höher und erfordern besonderes Augenmerk.

Literaturverzeichnis

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Kapitel 2. Sollten Unternehmen finanzielle Ausbildungsanreize erhalten?