Zusammenfassung

Nach einem Jahrzehnt der Expansion verzeichnete die deutsche Wirtschaft 2020 eine starke Kontraktion (Tabelle 1). Die erste Corona-Welle konnte mit weniger strengen Eindämmungsmaßnahmen unter Kontrolle gebracht werden als in vielen anderen Ländern. Zu verdanken war dies hohen Kapazitäten im Gesundheitssektor und frühzeitigem Testen, Isolieren und Nachverfolgen der Kontakte. Im Oktober flammte das Infektionsgeschehen jedoch wieder auf, sodass im November neuerliche bundesweite Beschränkungen verordnet wurden. So mussten beispielsweise Gastronomie- sowie Kultur- und Freizeitbetriebe schließen. Einzelhandel und Schulen blieben jedoch geöffnet.

Die Wirtschaft wurde durch den Zusammenbruch des Welthandels hart getroffen. Ein Großteil der deutschen Produktion ist für den Export bestimmt. Dies gilt besonders für die Investitionsgüterproduktion des Verarbeitenden Gewerbes. Deutschlands wichtigste Handelspartner in Europa wurden stark von der Krise getroffen und wegen der stockenden globalen Investitionstätigkeit brach die Nachfrage nach Investitionsgütern ein.

Der Anstieg der Arbeitslosigkeit wurde durch Kurzarbeit abgefedert. Die gesunkene Arbeitsnachfrage führte in deutlich größerem Umfang zu Kurzarbeit als zu Arbeitslosigkeit (Abbildung 1); fast 20 % aller abhängig Beschäftigten waren im April 2020 in Kurzarbeit. Bei einem längeren Abschwung wäre eine stärkere Reallokation von Ressourcen nötig. In diesem Fall sollten aktivere Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik in Betracht gezogen werden, z. B. im Bereich Weiterbildung oder Unterstützung bei der Arbeitsuche.

Durch entschlossenes staatliches Handeln gelang es, die Kapazitäten des Gesundheitssystems zu stärken und zugleich Arbeitsplätze und Unternehmen zu schützen. Darlehen, Bürgschaften, Zuschüsse und Eigenkapitalhilfen sicherten die Liquiditätsversorgung. Ein Konjunkturpaket stützt zugleich Konsum und Investitionen. Dennoch sollten die Risiken im Bankensektor genau überwacht werden, da die Privat- und Unternehmensinsolvenzen zunehmen dürften. Die diskretionären Impulse für die Wirtschaft belaufen sich 2020 auf ungefähr 140 Mrd. EUR (4¼ % des BIP). Beim Tempo der Haushaltskonsolidierung ist Umsicht geboten, da ein rascher Entzug der Impulse die Erholung gefährden könnte, vor allem im Fall einer schwachen Wachstumsdynamik.

Die Corona-Krise verstärkt die strukturellen Herausforderungen, die sich aus der schwachen Exportnachfrage und der Energiewende ergeben. Die Politik muss den Übergang zu saubereren Energien und neuen Technologien in der Automobilindustrie erleichtern und zugleich die Digitalisierung vorantreiben.

Die Infrastrukturausgaben, die für die digitale Transformation und die Rückführung des CO2-Ausstoßes entscheidend sind, waren bislang unzureichend – sie könnten nun ein wesentlicher Motor der Erholung werden. Die öffentlichen Investitionen wurden seit 2014 erhöht (Abbildung 2). Weitere Ausgaben für emissionsarme Verkehrslösungen, Digitalisierung und Gesundheit wurden angekündigt. Dies sind – zusammen mit dem sozialen Wohnungsbau, der frühkindlichen Bildung und den Stromnetzen – die Schlüsselbereiche, in denen mehr Investitionen nötig sind. Zwanzig Jahre Investitionsschwäche haben hier eine Lücke gerissen. Zudem wird die Umsetzung der Projekte durch unzureichende Bau- und Verwaltungskapazitäten sowie aufwendige Planungsverfahren gebremst.

Es bedarf Reformen im Bereich Infrastrukturplanung und -management und aktiver Förderung durch den Bund, um Kapazitätsengpässe zu beseitigen. Eine unabhängige Infrastrukturplanungsberatung würde die Abstimmung zwischen den Sektoren verbessern und den Unternehmen im Baugewerbe mehr Planungssicherheit für Kapazitätserweiterungen verschaffen. Eine weitere Rationalisierung der Planungsverfahren, mehr Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Stellen und attraktivere Beschäftigungsbedingungen für Planungsverantwortliche im öffentlichen Sektor wären ebenfalls hilfreich. Die Krise hat die Einnahmelage der Kommunen stark beeinträchtigt. Maßnahmen, um die Fehlbeträge teilweise auszugleichen, werden nicht ausreichen, um den Investitionsstau der Kommunen im Verkehrs- und im schulischen Bereich zu beseitigen.

Deutschland hat 2019 erhebliche Fortschritte in der Klimapolitik erzielt, die durch die Corona-Krise nicht infrage gestellt werden dürfen. Entscheidend hierfür waren insbesondere die Einführung einer Emissionsbepreisung im Verkehrs- und Wärmesektor, eine verstärkte Förderung für Elektrofahrzeuge und Ladestationen, höhere Zielwerte für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und die Zusage, bis spätestens 2038 aus der Kohleverstromung auszusteigen. Die Emissionen sind jedoch trotz der Fortschritte, die in den letzten zwanzig Jahren beim Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien erzielt wurden, weiterhin hoch (Abbildung 3).

Es bedarf weiterer Maßnahmen, um das Ziel einer Senkung der Treibhausgasemissionen um 55 % bis 2030 zu erreichen. Die Kohleverstromung sollte schon früher als geplant zurückgefahren werden. Dies könnte durch stärkere Preissignale erreicht werden, was eine kosteneffiziente Methode zur Senkung der Emissionen ist. Stärkere Preissignale könnten auch ein effizienteres Abfallmanagement fördern. Die Energieeffizienzanforderungen für Neubauten sind hoch; die energetische Gebäudesanierung müsste jedoch um mindestens 50 % ausgeweitet werden, um das für 2050 gesetzte Ziel eines nahezu klimaneutralen Baubestands zu erreichen. Im Verkehrssektor wird das für 2030 gesetzte Emissionsminderungsziel wohl kaum erreicht werden. Es bedarf daher weiterer Maßnahmen bei der Bepreisung von Kraftstoffen, Fahrzeugen und Straßennutzung, wobei zugleich nachhaltige alternative Verkehrsoptionen geschaffen werden müssen.

Deutschland gehört zu den weltweit führenden Ländern in den Bereichen Technologie und Ingenieurwesen, ist bei der Digitalisierung aber im Rückstand. Der Zugang zu schnellem Internet könnte verbessert werden, vor allem im ländlichen Raum. Auch die mobile Datennutzung und die Zugangsgeschwindigkeiten sind gering. Die Unternehmen sind bei der Nutzung wichtiger – für die datenbasierte Wertschöpfung erforderlicher – IKT-Tools wie schnelles Breitband und Cloud-Computing im Rückstand (Abbildung 4).

Zur Verbesserung der Internetversorgung sollten die Verwaltungsverfahren gestrafft und der Wettbewerb erhöht werden. Das ehrgeizige Ziel eines bundesweit flächendeckenden Ausbaus mit Gigabit-Netzen bis 2025 ist zu begrüßen. Das Gleiche gilt für die öffentlichen Förderprogramme für den Breitbandausbau – vorausgesetzt, die Mittel werden effizient eingesetzt. Die Auszahlung der Fördermittel kommt allerdings nur langsam voran. Lange Genehmigungsverfahren verzögern die Abläufe, vor allem was die Wegerechte für den Infrastrukturbau betrifft. Der Eintritt eines vierten Netzbetreibers in den Mobilfunkmarkt ist eine positive Entwicklung, die durch regulierungspolitische Maßnahmen flankiert werden sollte, damit sie zu mehr Wettbewerb führt und so den Verbraucher*innen zugutekommt.

Es gilt die Hindernisse zu verringern, die die Einführung fortschrittlicher IKT und Investitionen in Wissenskapital in den Unternehmen bremsen. Verschiedene Faktoren behindern Innovation und Produktivität: eine eher zögerliche Einführung von fortgeschrittenen IKT, die für eine datenbasierte Wertschöpfung unerlässlich sind, Schwierigkeiten beim Zugang zu Bankfinanzierungen für KMU, eine zunächst niedrig angesetzte Bemessungsgrundlagenhöchstgrenze für die neue steuerliche Forschungs- und Entwicklungsförderung sowie Fragen der digitalen Sicherheit. Mehr Wagniskapital ist unerlässlich für die Finanzierung von Start-ups mit hohem Wachstumspotenzial. Solche Finanzierungsinstrumente würden wirksamer, wenn ihre Komplexität verringert und die Finanzierung für die späteren Phasen der Unternehmensentwicklung ausgebaut würde.

Durch die Corona-Krise ist es noch wichtiger geworden, schnelle Fortschritte bei der Digitalisierung der Verwaltung und einem datenbasierten öffentlichen Sektor zu erzielen. Deutschland war bei der Digitalisierung öffentlicher Dienstleistungen bislang eher langsam. Dieser Prozess soll nun aber beschleunigt werden, indem prioritär bei Diensten angesetzt wird, mit denen eine hohe Wirkung erzielt werden kann. Darüber hinaus bedarf es größerer Anstrengungen zur Verbesserung der Kooperation zwischen den verschiedenen staatlichen Ebenen und zur Öffnung des Zugangs zu Verwaltungsdaten.

Starke Grundkompetenzen helfen den Menschen, neue Technologien zu nutzen. Hohe alltagsmathematische und Lesekompetenzen haben in Deutschland einen stärkeren Effekt auf Erwerbseinkommen und Beschäftigung als in den meisten anderen OECD-Ländern. Dies ist ein Zeichen der starken Nachfrage nach solchen Kompetenzen. Eine bessere Vermittlung von Grundkompetenzen – vor allem für Personen mit ungünstigem sozialem Hintergrund – kann die Ungleichheit verringern, die intergenerationale Aufwärtsmobilität steigern und die künftige Teilnahme an Erwachsenenbildung erhöhen.

Wenn die Lehrkräfte über die erforderlichen komplementären Fähigkeiten verfügen, können die Kompetenzen und das Engagement der Schüler*innen durch digitale Technologien gesteigert werden. Deutschland ist bei der effizienten Nutzung digitaler Technologien in den Schulen sowie bei den dazu erforderlichen Kompetenzen der Lehrkräfte gegenüber anderen OECD-Ländern im Rückstand. Im OECD-Raum werden verschiedene Maßnahmen genutzt, um den Bedarf an Lehrerfort- und -weiterbildung im IKT-Bereich zu decken, von verpflichtenden Schulungen bis hin zu nationalen Standards zur Akkreditierung oder Zertifizierung der Lehrkräfte.

Die Einkommensmobilität ist gering und die coronabedingten Schulschließungen drohen das Leistungsgefälle zwischen sozial begünstigten und benachteiligten Schüler*innen weiter zu vergrößern. Junge Menschen, Frauen und Geringverdiener sind stärker von Arbeitslosigkeit bedroht, da sie häufig in Branchen tätig sind, die von der Krise besonders betroffen sind.

Durch die Verringerung der hohen effektiven Steuersätze könnte eines der Hindernisse für den Wechsel in besser entlohnte Beschäftigungen beseitigt werden. Würde die hohe Besteuerung der Erwerbseinkommen verringert, während zugleich Umweltsteuern, Grundsteuern und Steuern auf Kapitaleinkünfte angehoben und Steuerbefreiungen abgeschafft würden, könnten die Anreize verbessert und die Effizienz gesteigert werden. Das deutsche Erfolgsmodell der Sozialpartnerschaft kann Unternehmen und Beschäftigten helfen, dem Wirtschaftsabschwung durch Weiterbildung, tarifvertragliche Regelungen und Fortsetzung des wirkungsvollen Sozialdialogs zur Festlegung der Mindestlöhne entgegenzutreten.

Das Verdienstgefälle zwischen Männern und Frauen ist groß und hat sich in den letzten zwanzig Jahren nur leicht verringert. Ein Grund hierfür ist der hohe Anteil an Teilzeitarbeit bei Frauen, vor allem Müttern. Ein weiterer Ausbau des Angebots an guter Vollzeitkinderbetreuung und die Förderung einer längeren Elternzeit für Väter würde zu einer besseren Aufteilung der Kinderbetreuungsaufgaben führen und so die Frauenerwerbstätigkeit unterstützen. Nur ein sehr geringer Anteil der Managementpositionen ist mit Frauen besetzt. Bessere gesetzliche Bestimmungen zur Förderung der Lohntransparenz, eine Ausweitung der Quotenregelungen, mehr Frauen in MINT- und IKT-Fächern sowie mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten und mehr Homeoffice-Möglichkeiten sind wichtige Instrumente, um die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf zu fördern.

In keinem anderen OECD-Land gelten für einen so hohen Anteil der Arbeitskräfte besondere Berufszulassungsregelungen. Solche Regelungen verringern den Wettbewerb, lassen die Preise steigen und bremsen Produktivität und Arbeitsplatzmobilität. Für Migrant*innen dürften sie besonders kostspielig sein, weil sie sie darin hindern, im Ausland erworbene Kompetenzen geltend zu machen. Auch im Baugewerbe dürften solche Regelungen hohe Kosten verursachen, weil Arbeitskräftemangel Investitionen bremst.

Fehlender Wohnraum in städtischen Gebieten hindert Menschen daran, dorthin zu ziehen, wo die Arbeitsplätze sind. Fehlendes Bauland und strenge Mietpreiskontrollen verhindern eine adäquate Reaktion des Wohnungsangebots. Die 2015 eingeführten Mietpreisbremsen hatten bislang zwar offenbar keinen negativen Effekt auf die Bautätigkeit, strengere Maßnahmen wie z. B. der Berliner Mietendeckel drohen jedoch die Mobilität zu behindern.

Disclaimers

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Anmerkung der Türkei
Die Informationen zu „Zypern“ in diesem Dokument beziehen sich auf den südlichen Teil der Insel. Es existiert keine Instanz, die sowohl die türkische als auch die griechische Bevölkerung der Insel vertritt. Die Türkei erkennt die Türkische Republik Nordzypern (TRNZ) an. Bis im Rahmen der Vereinten Nationen eine dauerhafte und gerechte Lösung gefunden ist, wird sich die Türkei ihren Standpunkt in der „Zypernfrage“ vorbehalten.

Anmerkung aller in der OECD vertretenen EU-Mitgliedstaaten und der Europäischen Union
Die Republik Zypern wird von allen Mitgliedern der Vereinten Nationen mit Ausnahme der Türkei anerkannt. Die Informationen in diesem Dokument beziehen sich auf das Gebiet, das sich unter der tatsächlichen Kontrolle der Regierung der Republik Zypern befindet.

Originaltitel: OECD Economic Surveys: Germany 2020

Übersetzung durch den Deutschen Übersetzungsdienst der OECD.

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