8. Kapazitätsaufbau

Sensibilisierung, der Aufbau von Wissen und Kompetenzen sowie die Entwicklung eines Verantwortungsbewusstseins für Integrität sind wichtige Bausteine des öffentlichen Integritätssystems. Sind den Mitarbeiter*innen die einzelnen Integritätsstandards und die damit verbundenen Praktiken und Herausforderungen bekannt, können sie Integritätsprobleme leichter erkennen. Gut durchdachte Schulungen und Leitlinien vermitteln die nötigen Fachkenntnisse und Kompetenzen, um angemessen auf Integritätsprobleme zu reagieren und bei Bedarf bei Expert*innen Rat einzuholen. Sensibilisierung und Kapazitätsaufbau stärken das Engagement der Mitarbeiter*innen für Integrität und motivieren sie, ihren Pflichten im Interesse der Öffentlichkeit nachzugehen.

In ihrer Empfehlung zu Integrität im öffentlichen Leben fordert die OECD die Länder auf, „Beschäftigten in ausreichender Menge Informationen, Schulungen, Hilfestellung und rechtzeitige Beratung zur Anwendung von öffentlichen Integritätsstandards am Arbeitsplatz bereit[zu]stellen, insbesondere indem sie

  1. a) Beschäftigten während ihrer gesamten Laufbahn klare und aktuelle Informationen über die Leitlinien, Regeln und Verwaltungsverfahren bereitstellen, die für die Aufrechterhaltung hoher öffentlicher Integritätsstandards von Bedeutung sind;

  2. b) Beschäftigten während ihrer gesamten Laufbahn einführende und arbeitsbegleitende Integritätsschulungen anbieten, um sie zu sensibilisieren und ihnen bei der Entwicklung von Fähigkeiten zur Analyse ethischer Dilemmata zu helfen und um [öffentliche Integritätsstandards] zur Anwendung zu bringen und diesen in ihrem persönlichen Kontext Bedeutung zu verleihen;

  3. c) einfach zugängliche formelle und informelle Leitlinien und Konsultationsmechanismen bereitstellen, um Beschäftigten zu helfen, Integritätsstandards in ihrem Arbeitsalltag anzuwenden, und um Interessenkonflikte zu bewältigen“ (OECD, 2017[1]).

Es gibt verschiedene Instrumente und Mechanismen, die der öffentliche Dienst nutzen kann, um seinen Beschäftigen Informationen, Schulungen und Hilfestellung zu bieten. Besonders wichtig sind die folgenden drei Elemente:

  • Die Informationen über Integritätsrichtlinien, einschlägige Vorschriften und Verwaltungsverfahren sind auf dem neuesten Stand und verfügbar.

  • Es finden regelmäßig einführende und arbeitsbegleitende Integritätsschulungen statt, um für ein stärkeres Bewusstsein und die nötigen Fähigkeiten zur Integritätssicherung zu sorgen, und es sind Evaluierungsmaßnahmen vorgesehen, um die Wirksamkeit dieser Schulungen zu bewerten.

  • Es sind Leitlinien und Konsultationsmechanismen für eine einheitliche Anwendung der Integritätsstandards im Dienstalltag vorhanden und sie sind bekannt und zugänglich.

Den Beschäftigten ausreichend Informationen zur Verfügung zu stellen, ist enorm wichtig, um sie für das Thema Integrität zu sensibilisieren und dafür zu sorgen, dass sie die geltenden Integritätsrichtlinien, Vorschriften und Verwaltungsverfahren genau verstehen. Die konkreten Methoden und Inhalte hängen davon ab, ob das Bewusstsein für Integritätsstandards geschärft werden soll, die für den gesamten öffentlichen Sektor gelten, oder für Integritätsvorschriften, die in spezifischen Einrichtungen oder Kontexten gelten. Zur Schärfung des Bewusstseins für ressortübergreifende Integritätsstandards bieten sich Mitteilungen über die Werte und Grundsätze des öffentlichen Dienstes an. So kann den Bediensteten z. B. bei Diensteintritt eine Ausgabe des Verhaltens- oder Ethikkodex zugesandt oder dessen Inhalt vorgestellt werden. Die Mitarbeitenden können auch bei Dienstantritt oder Funktionswechsel aufgefordert werden, eine Erklärung zu unterzeichnen, dass sie den Verhaltens- bzw. Ethikkodex gelesen und verstanden haben und ihm zustimmen. Die rechtliche Verbindlichkeit eines solchen Akts mag begrenzt sein, doch seine Symbolwirkung kann bei sinnvoller Einbindung in das Integritätssystem insgesamt erheblich sein (OECD, 2009[2]).

Darüber hinaus können auch Infoplakate, Bildschirmschoner, Pinnwände, Banner, Lesezeichen, Kalender usw. eine gute Möglichkeit sein, die Integritätsstandards weiter zu verbreiten und die Mitarbeiter*innen für die Thematik zu sensibilisieren. In Mexiko ließ die Secretaría de la Función Pública (SFP) z. B. Infoposter drucken, auf denen die Verfassungsgrundsätze Rechtmäßigkeit, Ehrlichkeit, Treue, Unparteilichkeit und Effizienz, die auch die Werte des öffentlichen Dienstes sind, erklärt wurden (Abbildung 8.1). Soll das Bewusstsein für die Integritätsvorschriften in einem bestimmten Sektor geschärft werden, können gezieltere Botschaften verbreitet werden. Die US Customs and Border Protection Agency und das Australian Department of Home Affairs nutzen beispielsweise Videoclips zum Thema Integrität und behördenweite E-Mails, um die Erwartungen und Verhaltensstandards in ihren jeweiligen Behörden besser verständlich zu machen (OECD, 2017[3]).

Botschaften, die die Bedeutung dieser Werte an konkreten Beispielen veranschaulichen, regen die Beschäftigten dazu an, über die Werte nachzudenken und sie zu verinnerlichen. Die Poster über die Integritäts- und Verhaltensstandards Neuseelands (Abbildung 8.2), die sowohl in Behörden als auch öffentlich sichtbar für die Bürger*innen platziert wurden, erklären die Bedeutung der Werte z. B. anhand konkreter Beispiele.

Der Aushang von Integritätsregeln allein garantiert allerdings nicht, dass die Beschäftigten die Informationen auch beherzigen. Unabhängig von der Methode und den konkreten Inhalten müssen die geltenden Integritätsrichtlinien, Vorschriften und Verfahren deshalb regelmäßig beworben werden, damit sich die Beschäftigen in ethisch schwierigen Situationen leichter an sie erinnern (OECD, 2017[4]). Wie in OECD (2019[5]) aufgezeigt, tragen sogenannte moral reminders, also moralische Gedächtnisstützen, nachweislich dazu bei, unethisches Verhalten zu verhindern, indem sie ethische Standards im Entscheidungsmoment in Erinnerung rufen (Mazar, N. und D. Ariely, 2006[6]; Bursztyn, L. et al., 2016[7]). Unscheinbare Nachrichten wie „Danke für Ihre Ehrlichkeit“ haben einen bemerkenswerten Einfluss darauf, ob Integritätsstandards eingehalten werden (Pruckner, G. und R. Sausgruber, 2013[8]). Die gewünschte Wirkung tritt allerdings nur ein, wenn diese Gedächtnisstützen zum richtigen Zeitpunkt gezeigt werden, also kurz vor dem Moment der Entscheidung (Gino, F. und C. Mogilner, 2014[9]).

So könnte z. B. in Vergabeunterlagen der folgende Satz eingefügt werden, den Vergabeverantwortliche unmittelbar vor einer Vergabeentscheidung unterzeichnen müssen: „Die folgende Entscheidung treffe ich in Übereinstimmung mit den höchsten Berufs- und Ethikstandards.“ Mit der Unterschrift wird indirekt eine Verknüpfung zwischen dem Namen des*der Bediensteten und ethischem Verhalten hergestellt (OECD, 2017[10]). Eine andere Maßnahme könnte sein, zu Beginn amtlicher Berichtsformulare Unterschriftenfelder einzufügen (Kasten 8.1).

Unter dem Blickwinkel des Kapazitätsaufbaus erfordert ein strategischer Ansatz zur Integritätsförderung Integritätsschulungen, die in den übergeordneten Rahmen für Kompetenzentwicklung im öffentlichen Dienst eingebunden werden. Der Ausbau von Kompetenzen ist in allen OECD-Ländern ein Kernbestandteil der Verwaltung des öffentlichen Dienstes. Wer die institutionelle Aufsicht führt und wer für die Bewerbung, Koordinierung und Durchführung der Lernangebote zuständig ist, hängt dabei vom institutionellen Rahmen der einzelnen Länder ab (OECD, 2017[4]). So könnten die Zuständigkeiten zentral bei einem Ministerium oder einer nationalen Ausbildungsstätte für den öffentlichen Dienst gebündelt werden oder den einzelnen Fachministerien übertragen werden (OECD, 2016[12]). Die Weiterbildungs- und Kompetenzentwicklungskonzepte können dabei auf die individuelle Entwicklung der Bediensteten ausgerichtet sein, um z. B. spezifische Kompetenzlücken in einer bestimmten Einrichtung zu schließen, oder ressortübergreifend auf alle staatlichen Stellen abzielen (OECD, 2017[4]).

Unabhängig vom konkreten Ansatz sollte jeder Plan für die Stärkung der Kapazitäten der Mitarbeiter*innen eine Integritätskomponente enthalten. Bei der Konzipierung und Umsetzung der Integritätsschulungen sollten folgende Aspekte berücksichtigt werden: Zielgruppe, Zeitpunkt und Häufigkeit der Schulung, Umfang der Schulung und Hauptmethoden zur Vermittlung der Inhalte. Sinnvoll können auch Maßnahmen zur stärkeren Koordinierung der Hauptakteure, die die Schulungen konzipieren und durchführen, sowie für Monitoring und Evaluierung der Schulungsergebnisse sein.

Eine wichtige Zielgruppe für Integritätsschulungen sind neue Mitarbeiter*innen. Eine einführende Schulung bei Diensteintritt ist eine ideale Gelegenheit, um den Mitarbeiter*innen eine erste Richtschnur für Integrität vorzugeben, sie für die geltenden Vorschriften und Werte zu sensibilisieren und ihr Wissen in diesem Bereich aufzubauen. In Kanada, den Vereinigten Staaten, Litauen und der Türkei gehören Integritätsschulungen z. B. zum Pflichtprogramm bei der Einführung neuer Mitarbeiter*innen. So umfasst der Lehrplan für neue Bedienstete der kanadischen School of Public Service beispielsweise einen verpflichtenden Grundlagenkurs zu Werten und Ethik. In den Vereinigten Staaten müssen alle Bundesbediensteten einen einführenden Ethikkurs absolvieren, der von den Ethikbeauftragten ihrer Einrichtung (Designated Agency Ethics Official – DAEO) konzipiert und durchgeführt wird. In Litauen ist Ethiktraining indirekt verpflichtend: Alle neuen Bediensteten müssen eine Einführungsschulung absolvieren, bei der verschiedene Integritätsthemen aufgegriffen werden. Zu den Kernelementen einführender Integritätsschulungen gehören Erläuterungen zum Werte- und Ethikbegriff, die Bewältigung und Vermeidung von Interessenkonflikten, ethische Dilemmasituationen und Fragen der Rechenschaft im Dienstumfeld.

Auch maßgeschneiderte Schulungsangebote sind eine gute Möglichkeit, den Mitarbeiter*innen hilfreiche Informationen an die Hand zu geben, um ihren Arbeitsalltag zu meistern. In den Vereinigten Staaten müssen Bedienstete bestimmter Kategorien (z. B. vom Staatsoberhaupt ernannte Amtsträger*innen, die Mitarbeiter*innen des Präsidialamtes, bestimmte Vergabebedienstete) gemäß dem Code of Federal Regulation neben der verpflichtenden Einführungsschulung einmal im Jahr ein zusätzliches Ethiktraining absolvieren. Viele US-amerikanische Behörden haben diese Regel auf alle Mitarbeiter*innen ausgeweitet. In Frankreich gibt es für Ethikbeauftragte zwar keine Pflichtschulungen, doch die Haute Autorité pour la transparence de la vie publique (HATVP) bietet ein maßgeschneidertes Training für Ethikbeauftragte der halböffentlichen Unternehmen der Stadt Paris (HATVP, 2019[13]). Ein eigener Ethikleitfaden bietet zusätzliche Hilfestellung und Informationen über nützliche Instrumente (HATVP, 2019[14]).

Um die Inhalte der Schulungen besser zu verinnerlichen, können die Teilnehmer*innen aufgefordert werden, einen persönlichen Integritätsaktionsplan zu erstellen, in dem sie alle integritätsbezogenen Risiken und Herausforderungen festhalten, die in ihrem Dienstalltag vorkommen. Im Rahmen von Folgeschulungen können sie anschließend darüber berichten, inwieweit die Aktionspläne umgesetzt wurden und welche Hürden es gab, und es können gemeinsam Ideen und Lösungsansätze dafür besprochen werden.

In jeder öffentlichen Verwaltung gibt es bestimmte Kategorien von Beschäftigten, die einem besonders hohen Korruptionsrisiko ausgesetzt sind. Dazu gehören Positionen im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe, im Steuer- und Zollwesen und in Regulierungsbehörden. Um diese Mitarbeiter*innen dafür zu wappnen, mit Integritätsrisiken umzugehen, können speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Schulungsprogramme hilfreich sein. In Deutschland sind seit 2001 z. B. alle neuen Mitarbeiter*innen des Beschaffungsamts verpflichtet, an speziellen Workshops teilzunehmen, um sich Wissen über Korruptionsprävention, Whistleblowing und ethisches Verhalten anzueignen. Das Programm wurde inzwischen ausgeweitet und ist jetzt für alle Vergabebediensteten Pflicht. So finden jedes Jahr 6-7 Workshops mit durchschnittlich 70 Teilnehmer*innen statt (OECD, 2016[15]). 2017 nahmen 313 Bedienstete an einschlägigen Führungskräfteschulungen, einführenden Schulungen und speziellen Workshops zur Korruptionsprävention teil. In Estland organisieren einige Behörden zusätzlich zu den vier Ethikkursen, die zum allgemeinen Schulungsprogramm der Zentralregierung gehören, interne Schulungen, die speziell auf die Bedürfnisse der jeweiligen Mitarbeiter*innen zugeschnitten sind. So hat die estnische Steuer- und Zollbehörde z. B. ihre eigenen Ethikmodule entwickelt, um genauer auf die Bedürfnisse der Steuer- und Zollbediensteten eingehen zu können.

Genauso wie sich Gesetze, Vorschriften, Kodizes und Erwartungen mit der Zeit ändern, können auch neue Formen von Integritätsverletzungen und ethische Dilemmata entstehen. Werden die Beschäftigten in Bezug auf Integritätsvorschriften und -standards regelmäßig auf den neuesten Stand gebracht, verfügen sie über die nötigen Kompetenzen und das nötige Wissen, um angemessen darauf zu reagieren.

Angesichts der vielfältigen Aufgaben, die im öffentlichen Dienst zu bewältigen sind, steht nur eine begrenzte Zeit für Weiterbildung zur Verfügung. Wie Abbildung 8.3 zeigt, stieg die Zahl der Länder, in denen die öffentlich Bediensteten pro Jahr an ein bis drei Schulungstagen teilnahmen, zwischen 2010 und 2016, während die Zahl der Länder, die sieben bis zehn Schulungstage anboten, deutlich zurückging. Da öffentlich Bedienstete sich in unterschiedlichsten Themenbereichen weiterbilden müssen, steht speziell für das Thema Integrität teilweise sehr wenig Zeit zur Verfügung.

Die Regelmäßigkeit von Integritätsschulungen variiert und hängt von der Gesamtgröße des öffentlichen Dienstes und den für Kapazitätsaufbau bereitgestellten personellen und finanziellen Ressourcen ab. Eine Rolle spielt dabei auch, ob die Teilnahme freiwillig oder verpflichtend ist und ob die Schulungen sich an bestimmte Kategorien von Mitarbeiter*innen richten, die besonderen Integritätsrisiken ausgesetzt sind. Selbst wenn nur begrenzt Mittel für Integritätsschulungen zur Verfügung stehen, kann der richtige Zeitpunkt der Schulung eine wichtige Stellschraube sein. Ein guter Zeitpunkt ist z. B., nachdem ein Ethikgesetz oder ein Gesetz für den öffentlichen Dienst reformiert wurde, nachdem neue Vorschriften oder Funktionen eingeführt wurden, nachdem der allgemeine Verhaltenskodex geändert wurde und/oder nachdem die Bestimmungen für risikoexponierte Funktionen (von der Politik ernannte Amtsträger*innen, Vergabe-, Steuer- und Zollbedienstete) oder Sektoren geändert wurden.

Die Schulungsinhalte hängen zwar immer vom Kontext der jeweiligen Länder ab, sinnvoll sind in jedem Fall aber Module zu integritätsbezogenen Standards, Vorschriften und Werten, zu relevanten Verwaltungsverfahren (z. B. Finanzmanagement und öffentliche Auftragsvergabe), zu Transparenz- und Rechenschaftsmechanismen sowie zu Maßnahmen und Kontrollmechanismen für den Umgang mit Integritätsrisiken. Ein anderes mögliches Thema ist z. B. die Frage, was Integritätsrisiken genau sind und wie sie erkannt werden, was unter ethischer Urteilsbildung zu verstehen ist und wie sie auf abstrakte Dinge angewandt werden kann und wann man von einem ethischen Dilemma spricht und wie es überwunden werden kann.

Sowohl für einführende als auch für arbeitsbegleitende Schulungen bieten sich verschiedene Formate an (Tabelle 8.1 zeigt einen Überblick der wichtigsten Trends). Die Methode sollte sich immer nach dem Ziel der Schulung richten, denn nicht jede Methode ist für jede Situation geeignet. Für die Vermittlung von Wissen über geltende Integritätsstandards, Vorschriften und Verwaltungsverfahren, die der Integritätssicherung in der öffentlichen Verwaltung dienen, d. h. für regelbasierte Inhalte eignen sich z. B. eher klassische Lehrformate wie Vorträge, aber auch E-Learning-Module, Kurse und sogenannte MOOCs (Massive Open Online Courses). Das United States Office of Government Ethics (OGE) nutzte beispielsweise die ersten drei Train-the-Trainer-Sessions eines MOOC, um in die Vorschriften und Regulierungsbestimmungen für die Beschäftigung ehemaliger Amtsträger*innen einzuführen. Parallel dazu wurden wertebasierte Szenarien besprochen und Übungen durchgeführt, bei denen die Teilnehmer*innen alltagsnahe ethische Dilemmasituationen nachspielen sollten. Bei wertebasierten Schulungskomponenten geht es in erster Linie darum, die richtigen Einstellungen und Verhaltensweisen zu erlernen, um potenzielle Fallstricke in Bezug auf Integrität im Dienstalltag meistern zu können. Hier bieten sich interaktivere Formate wie Fallstudien, Simulationsspiele, Karten- und Brettspiele oder auch Rollenspiele an. Das österreichische Bundesministerium für Inneres setzt z. B. das interaktive Gesellschaftsspiel „fit4compliance – Finde deine Werte“ ein, um über persönliche Werte zu sprechen und zu erörtern, wie die Werte des öffentlichen Dienstes den Mitarbeiter*innen in (ethisch) schwierigen Situationen helfen können. Solche interaktiven und situativen Formate dienen dazu, die Schulungsteilnehmer*innen in ihrem Denken herauszufordern und sie anzuregen, über wichtige Dilemmasituationen und die Folgen mangelnder Integrität bzw. von Integritätsverletzungen zu reflektieren. Im Anschluss werden ihre Gedanken gemeinsam nachbesprochen.

Dilemmatraining ist ein Beispiel für einen kombinierten Ansatz aus regelbasierten und werteorientierten Schulungen, denn es geht dabei um Situationen, für die es keine offensichtliche Lösung, sondern immer mehrere Handlungsoptionen gibt. Die Behörde für Staatsbedienstete der flämischen Regierung bietet solche Dilemmatrainings für alle Beschäftigten des öffentlichen Dienstes an. Die Teilnehmer*innen werden dabei mit einer Reihe praktischer Dilemmasituationen konfrontiert, für deren Lösung es aus Integritätsgesichtspunkten keinen klaren Weg gibt. Das US-amerikanische Office of Government Ethics (OGE) bietet hingegen Präsenztrainings an, in denen die Teilnehmer*innen anhand verschiedener Szenarien ihre ethische Urteilskompetenz schulen und gemeinsam ethische Dilemmasituationen diskutieren (OGE, 2016[16]). Ziel eines Dilemmatrainings ist zu vermitteln, dass schwierige Situationen unvermeidlich sind und sich die Bediensteten Unterstützung holen sollten, wenn sie mit einem ethischen Dilemma konfrontiert werden (OECD, 2009[2]). Außerdem haben Dilemmatrainings den Vorteil, dass sie für die Teilnehmer*innen ansprechender sind und die Teilnahme deshalb seltener als reine Formsache gesehen wird. Interaktive Formate, bei denen die Teilnehmer*innen sich mit realistischen Situationen auseinandersetzen und einen persönlichen Bezug zum Thema haben, führen in der Regel zu besseren Ergebnissen (Bazerman, M. und A. Tenbrunsel, 2011[17]). Durch die Nähe zum Arbeitsalltag der Beschäftigten helfen Dilemmatrainings dabei, das Moralbewusstsein der Teilnehmer*innen zu schärfen und ihr ethisches Urteilsvermögen zu verbessern, und vermitteln verschiedene Methoden, um ein ethisch korrekteres Verhalten zu entwickeln.

Werden die Schulungen ausschließlich von Integritätsbehörden ohne Fachkenntnisse über effektive Lehrmethoden, oder umgekehrt von Bildungsträgern ohne Fachkenntnisse über Integrität organisiert, kann die inhaltliche Qualität der Schulungen leiden. Indem sowohl Integritätsexpert*innen als auch Sachverständige für Aus- und Weiterbildung in die Entwicklung und Umsetzung der Schulungen einbezogen werden, können die Formate hingegen ganzheitlicher und relevanter gestaltet werden. Außerdem können durch die Beteiligung beider Seiten auch die Zielgruppen für die einzelnen Schulungen leichter definiert und angesprochen werden. In Kanada arbeitet das Treasury Board Secretariat, eine Behörde der Zentralregierung, z. B. eng mit der Canada School of Public Service zusammen, um Integritätsschulungen für öffentlich Bedienstete auf den Weg zu bringen. Auf der Grundlage dieser Kooperation wurde der Einführungskurs der Schule zu Werten und Ethik, der für neu eingestellte Bedienstete verpflichtend ist, jüngst umfassend aktualisiert. Manche Ministerien nutzen die Inhalte allerdings auch als Auffrischungskurs für bestehende Mitarbeiter*innen, um ihnen ihre Pflichten aus dem Values and Ethics Code for the Public Sector nochmal näher zu bringen (OECD, 2017[10]). Auch in Deutschland entwickelte das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat jüngst ein neues Fortbildungskonzept mit maßgeschneiderten Modulen für verschiedene Zielgruppen (Führungskräfte, Beschäftigte besonders korruptionsgefährdeter Arbeitsgebiete, Ansprechpersonen für Korruptionsprävention und Beschäftigte der Referate für Korruptionsprävention). Der Zeitpunkt der Durchführung, die Inhalte und das Schulungsformat sind dabei klar festgelegt. An der Konzipierung waren Expert*innen aus den Bereichen Korruptionsprävention, Innenrevision, Fortbildung und Personalmanagement beteiligt. Parallel dazu arbeiten das BMI und die Bundesakademie für öffentliche Verwaltung unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnisse aus der Didaktik und neuer technischer Trends gerade an einem gemeinsamen E-Learning-Programm.

Wie aus Abbildung 8.4 ersichtlich, ist in den meisten OECD-Ländern zwar ein Monitoring und eine Evaluierung der Schulungen vorgesehen, ihre Wirkung wird in der Regel allerdings nicht gemessen (Pearson, 2011[18]). Grund dafür ist, dass es nur wenige Methoden gibt, mit denen die Wirkung einer Schulung und der erzielte Wandel in einer Organisation gemessen werden können (Van Montfort, A., L. Beck und A. Twijnstra, 2013[19]). Außerdem wird die Wirkungsmessung eines Integritätstrainings dadurch erschwert, dass das Verhalten der Bediensteten, die an den Schulungen teilnehmen, auch durch zahlreiche andere Variablen beeinflusst wird (Pearson, 2011[18]).

Ein allgemein anerkanntes Modell für die Bewertung von Schulungen ist das sogenannte Vier-Stufen-Modell nach Kirkpatrick (Kirkpatrick, 1994[20]):

  • 1. Ebene – Reaktion: die unmittelbaren Eindrücke der Teilnehmer*innen und Referent*innen; wie haben sie die Schulung wahrgenommen und wie fühlten sie sich dabei?

  • 2. Ebene – Lernen: neue Erkenntnisse, Kompetenzen oder Einstellungen, die im Rahmen der Schulung erworben wurden

  • 3. Ebene – Verhalten: erzielte Verhaltensänderungen oder verbesserte Fähigkeiten aufgrund der Schulung und nachweisliche Anwendung des Gelernten im Arbeitsumfeld

  • 4. Ebene – Ergebnisse: Auswirkung der Schulung auf Arbeitsergebnisse; Rentabilität der Schulung (Kirkpatrick, 1994[20])

Die meisten Evaluierungsmethoden für Schulungen beschränken sich auf die erste Ebene, d. h. darauf, wie die Teilnehmer*innen die Schulung wahrgenommen haben (Reaktion); die Ebenen 2, 3 und 4 bleiben meistens unberücksichtigt. Um diese Leerstelle zu schließen, könnte eine Art Vorher-nachher-Bewertung des Verhaltens der Teilnehmenden sinnvoll sein, bei der z. B. durch eine 360-Grad-Beurteilung die Meinung mehrerer Personen eingeholt wird und die Ergebnisse mit einer Kontrollgruppe verglichen werden (McGivern, M. und P. Bernthal, 2002[21]). Solche Bewertungen können hilfreiche Informationen darüber liefern, ob die Integritätsschulungen einer Einrichtung helfen, ihre Ziele zu erreichen, ob die Schulungskosten gerechtfertigt sind oder ob die Schulungsstrategie möglicherweise geändert werden sollte.

Bei der Messung der vierten Ebene (Ergebnisse) geht es darum, potenzielle Änderungen im Vergleich zu einer bestimmten Ausgangssituation zu erfassen, die vor Beginn der Schulung bestimmt werden muss. Im Zusammenhang mit Integrität in öffentlichen Einrichtungen können hier folgende Indikatoren sinnvoll sein:

  • Anzahl der Fälle, in denen die Beschäftigten sich zu Fragen der Integrität beraten ließen (wobei die Fragen getrennt festgehalten werden können), und Ergebnisse dieser Fälle

  • Anzahl der Meldungen mutmaßlicher Interessenkonflikte bei den zuständigen Behörden und ergriffene Abhilfemaßnahmen

  • Wahrnehmung der Integrität und Offenheit der betreffenden Einrichtung

  • Anzahl der Meldungen nicht integren Verhaltens öffentlich Bediensteter bei der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen durch Bürger*innen und Unternehmen

  • Zufriedenheit der Bürger*innen und Unternehmen mit den von den öffentlich Bediensteten erbrachten Dienstleistungen

In jedem Fall sollte bei der Bewertung der Ergebnisse der Schulungsmaßnahmen (4. Ebene) berücksichtigt werden, dass öffentliche Einrichtungen keine Laborbedingungen bieten und es deshalb schwierig ist, die Auswirkungen einer bestimmten Schulung völlig isoliert zu betrachten. Am besten werden die Bewertungsergebnisse deshalb über einen längeren Zeitraum beobachtet, um mögliche Trends bei der Wirkung der Integritätsschulungen zu erkennen.

Grundsätzlich sind zwar alle öffentlich Bediensteten für Integrität zuständig, eine eigene Integritätsstelle, ein eigenes Integritätsreferat oder bestimmte Mitarbeiter*innen, die speziell für Integritätsfragen zuständig sind, können jedoch einen wichtigen Mehrwert bieten (OECD, 2009[2]). Die Institutionalisierung einer Beratungsfunktion für Integrität kann auf verschiedenen Wegen erfolgen: innerhalb einer Behörde der Zentralregierung, wie im Fall von Australien (siehe unten), durch die Einrichtung einer unabhängigen oder halbunabhängigen Fachstelle oder über Integritätsreferate oder -berater*innen innerhalb der Fachministerien. Ein Beispiel für eine unabhängige Beratungsstelle findet sich in Frankreich: Hier können sich hochrangige gewählte und nicht gewählte Bedienstete, die in den Zuständigkeitsbereich der HATVP fallen, auf Anfrage individuell und vertraulich beraten lassen und erhalten bei Bedarf Unterstützung und Hilfestellung für ihre jeweilige Einrichtung. Polen entschied sich demgegenüber für die Schaffung eigener Strukturen: Die Ministerien oder anderen staatlichen Stellen können eigene Integritätsreferate, -beauftragte oder -berater*innen einrichten bzw. ernennen. Ihre Aufgabe besteht darin, die Beschäftigten zu ethischen Dilemmasituationen zu beraten und ihnen die Regeln und ethischen Grundsätze des öffentlichen Dienstes besser zu erläutern. Zusätzlich unterstützen die Integritätsberater*innen die Führungsebenen dabei, über wichtige Grundsätze aufzuklären und eine Kultur der Integrität am Arbeitsplatz zu fördern.

Unabhängig vom institutionellen Gefüge bestehen die Kernaufgaben einer Integritätsberatungsfunktion darin, auf Anfrage inhaltliche Beratung zu leisten, zur ethischen Vertretbarkeit konkreter Umstände oder Handlungen zu beraten und Leitlinien darüber zu erarbeiten, welche Integritätsrichtlinien die Einrichtungen vorgeben sollten (OECD, 2009[2]). Schriftliche Kommunikationswege – Schreiben per Post, E-Mail oder Online-Portale – sorgen bei der Kontaktaufnahme mit den Berater*innen für klarere Antworten und mindern das Risiko von Fehlinterpretationen, wie es sie bei mündlichen Beratungen oft gibt. Durch eindeutige Verfahren für den Kontakt mit der Integritätsstelle (einschließlich der Angabe ihrer Kontaktdaten, der Dienstzeiten und der voraussichtlichen Bearbeitungszeit) kann der Zugang zu der Funktion verbessert werden. Außerdem kann es ratsam sein, die Grenzen der Integritätsberatung aufzuzeigen (z. B. dass die Beratung nicht unbedingt eine rechtliche Stellungnahme darstellt), um die Integritätsberater*innen und die Beschäftigten vor einer missbräuchlichen Verwendung oder einer Fehlinterpretation der Ratschläge zu schützen. Besonderes Augenmerk sollte auch auf die Vertraulichkeit des Austauschs gelegt werden (etwa indem eine eigene und/oder verschlüsselte E-Mail-Adresse verwendet wird, durch Zugriffsbeschränkungen für eine bestimmte Plattform oder Website usw.). In Australien steht der Ethics Advisory Service der Australian Public Service Commission allen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zur Verfügung. Auf der Website wird klar beschrieben, wie der Dienst von den Mitarbeiter*innen genutzt werden kann, welche Optionen es für die Kontaktaufnahme gibt (einschließlich Angabe einer E-Mail-Adresse und Telefonnummer) und welche Dienstleistungs- und Datenschutzbestimmungen gelten. Außerdem wird von vornherein genau angegeben, was die Mitarbeiter*innen von der Beratungsstelle erwarten können und was nicht (APSC, o. J.[22]).

Neben der Beratung an sich können auch Seiten mit Fragen und Antworten eine gute Möglichkeit sein, um über Werte und Verhaltensweisen aufzuklären und häufige Fragen zu beantworten. Zusätzlich kann die Beratungsfunktion in regelmäßigen Mitteilungen allgemeine Informationen bekanntgeben und auf die verschiedenen Orientierungshilfen und Angebote für die Mitarbeiter*innen hinweisen. Hier bieten sich z. B. Jahresberichte oder Beiträge auf der Website der Beratungsfunktion an, in denen die Fragen, die in einem bestimmten Zeitraum an die Berater*innen herangetragen wurden, oder auch immer wieder auftretende systemische oder sektorspezifische Problematiken (wie z. B. Ethikfragen, die das Parlament, die Vergabestellen oder ähnliche Funktionen betreffen) zusammengefasst werden.

Eine Integritätsberatungsfunktion kann darüber hinaus auch mit weiteren Mandaten beauftragt werden, sei es in Bezug auf andere Integritätsfragen oder im Zusammenhang mit Transparenz und Offenheit. Als Anlaufstelle für Integritätsfragen sind die Berater*innen ideal positioniert, um die Integritäts- und Transparenzstrategien ihrer Einrichtung entweder selbst oder in Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen und Integritätsakteuren zu koordinieren. Aufgrund ihrer zentralen Funktion sind sie meistens in der Lage, Risikoverantwortliche bei der Bewertung und Bewältigung von Risiken zu unterstützen, sie zu verschiedenen Aspekten und Verfahren rund um das Thema Integrität zu beraten oder auch Schulungen und Sensibilisierungsmaßnahmen zu konzipieren, die speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. In Deutschland sind die Ansprechpersonen für Integrität beispielsweise dafür zuständig, andere Mitarbeiter*innen in Sachen Integrität und Korruptionsprävention auf dem neuesten Stand zu halten (z. B. durch regelmäßige Seminare und Präsentationen) und sie bei der Durchführung von Schulungen zu unterstützen. Da sich die Berater*innen im selben Arbeitsumfeld befinden wie die Kolleg*innen, die sie beraten, und da sie die Standards des öffentlichen Dienstes, die geltenden Integritätsrichtlinien und die entsprechenden Verantwortlichkeiten innerhalb ihrer Einrichtung genau kennen, können sie ihre Kolleg*innen bei der Meldung von Verdachtsfällen unterstützen oder auch selbst als ein Meldekanal agieren (Kasten 8.2). Wichtig ist dabei, dass die Berater*innen weder für die nachfolgende Untersuchung der Fälle noch für etwaige Sanktionen zuständig sind, da dies ihre Rolle als Vertrauensperson für Mitarbeiter*innen mit Integritätsbedenken erheblich beeinträchtigen würde. Darüber hinaus können sich Integritätsberater*innen auch um das Monitoring und die Aufsicht der Umsetzung beschlossener Maßnahmen und Praktiken kümmern (z. B. Sensibilisierungskampagnen, Integritätsschulungspläne, Verfügbarkeit schriftlicher Ressourcen und Orientierungshilfen, Daten zu Integritätsfragen und Beratungsanfragen usw.) und die Berichterstattung und Rechenschaftsverantwortung dafür übernehmen (OECD, 2017[23]).

Die Integritätsberater*innen sollten ein geeignetes Profil haben und darin geschult werden, wie sie Mitarbeiter*innen in einer Dilemmasituation zuhören können. Sie sollten mit gutem Beispiel vorangehen und in der Lage sein, ein Vertrauensverhältnis zu den Mitarbeiter*innen aufzubauen. Außerdem sollte auf eine möglichst geringe Fluktuation geachtet werden. Folgende Fragen können für die Auswahl der Integritätsberater*innen hilfreich sein (OECD, 2009[2]):

  • Ist der Person bekannt, welches Verhalten erwartet wird?

  • Zeichnet sich die Person durch integres Verhalten aus?

  • Sind der Person die Grenzen ihrer Schweigepflicht bekannt? Mit anderen Worten: weiß sie, welche Rechte und Pflichten sie hat, wenn sie z. B. von einer Zuwiderhandlung erfährt, die so schwerwiegend ist, dass möglicherweise eine ethische Notwendigkeit entsteht, ihre Schweigepflicht zu brechen?

  • Wird die Person von einem Referat oder einem Netzwerk unterstützt?

Die Hürden beim Kapazitätsaufbau sind zwar je nach Kontext unterschiedlich, sehr häufig gilt es jedoch, die folgenden Herausforderungen zu bewältigen:

  • Interesse wecken durch innovative und interaktive Schulungsformate

  • Zeit und Ressourcen für Weiterbildung und Beratung bereitstellen

  • Eine effektive Koordinierung der für die Integritätsschulungen zuständigen Stellen sicherstellen

  • Klare Zuständigkeiten für Integrität festlegen und Fehlinterpretationen vermeiden

Ob eine Integritätsschulung auf Interesse stößt, hängt u. a. vom Inhalt und vom Format des Angebots ab. Sind die Inhalte sehr theorie- und definitionslastig oder veraltet, wird immer nur der gleiche Kurs angeboten oder fehlt es am Bezug zur Praxis, dürfte sich die Nachfrage in Grenzen halten. Wenn die Schulungen keine interaktiven Elemente, Diskussionen oder Möglichkeiten zum Experimentieren vorsehen oder Feedback und Evaluierungen nur teilweise stattfinden, sinkt die Qualität und Wirkung der Inhalte und damit auch das Interesse und die Teilnahmebereitschaft.

Um für eine rege Teilnahme zu sorgen, sollten die Inhalte und Formate so gewählt werden, dass die Teilnehmer*innen Gelegenheit haben, mit der Gruppe über ihre Erfahrungen und die Risiken zu sprechen, mit denen sie in ihrem Arbeitsalltag konfrontiert sind. Dazu braucht es eine Atmosphäre, in der sich die Teilnehmer*innen möglichst realitätsnah verhalten können, um aktuelle und wiederkehrende Dilemmasituationen zu erörtern und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Dazu können maßgeschneiderte Schulungen für besonders gefährdete Funktionen und Sektoren (siehe oben) oder eine Mischung aus verschiedenen Formaten und Werkzeugen sinnvoll sein.

Um eine hohe Verfügbarkeit und einen einfachen Zugriff auf die Schulungsinhalte zu gewährleisten, sollten Online-Plattformen oder andere virtuelle Lösungen ins Auge gefasst werden. So können Beschäftigte, für die keine Präsenztermine infrage kommen, trotzdem an Kursen, Fallstudien und Foren teilnehmen, um sich über ethische Dilemmasituationen und Studien auszutauschen. Trotz all ihrer Vorteile können Online-Formate ein interaktives Präsenztraining, Reflexion, Diskussionen oder eigene Erfahrungen jedoch nicht ersetzen.

Der Aufbau von Kapazitäten – samt Koordinierung der beteiligten Akteure, Umsetzung und Evaluierung der Inhalte und Überarbeitung der Formate aufgrund von Feedback – ist zeit- und ressourcenaufwendig. Die Verbreitung von Hilfs- und Schulungsmaterialien, ob online oder in Form von Plakaten, Broschüren, Bildschirmschonern oder Podcasts, erfordert ebenfalls Zeit und Geld, vor allem wenn bestehende Kanäle (Websites, Intranet, E-Mails, Printkommunikation) ungeeignet sind und stattdessen neue Systeme wie z. B. Online-Plattformen entwickelt werden müssen. Deshalb ist es wichtig, die für die Umsetzung der Schulungen und Hilfsmaterialien zuständigen Stellen mit einem entsprechenden Mandat und angemessenen finanziellen und personellen Ressourcen auszustatten.

Die Zuweisung der Funktionen für die Aufsicht, die Bewerbung, die Koordinierung und die Verwaltung der Lernangebote für öffentlich Bedienstete wird sehr unterschiedlich gehandhabt. Dabei kann eine Vielzahl von Akteur*innen ins Spiel kommen. Wird die Arbeit der zuständigen Stellen nicht koordiniert, ziehen es die Beteiligten aufgrund unterschiedlicher institutioneller Kulturen und Governance-Strukturen möglicherweise vor, „in Silos zu arbeiten“. Wenn der Fragmentierung der Integritätsschulungen nichts entgegengesetzt wird, können Programme mit unterschiedlichen Zielen und Methoden entstehen, die zu unterschiedlichen Auslegungen und Erläuterungen der Werte und Verhaltenserwartungen des öffentlichen Dienstes führen.

Mithilfe einer Koordinierungsfunktion – etwa durch Ernennung einer federführenden Stelle oder Einrichtung einer Online-Plattform, auf die alle Schulungsmaterialien hochgeladen werden – und einer behördenübergreifenden Zusammenarbeit kann hingegen die Einheitlichkeit der Programme sichergestellt werden. Eine federführende Stelle für Integritätsschulungen könnte beispielsweise die Verbreitung der Schulungsmaterialien übernehmen und sicherstellen, dass die Inhalte zuverlässig, aktuell und für die Bedürfnisse der jeweiligen Einrichtungen und Teilnehmer*innen passend sind.

Die Rolle der Integritätsberater*innen ist mit mehreren Herausforderungen verbunden:

  • Die Funktion der Integritätsberater*innen kann u. U. das Verantwortungsgefühl anderer Akteure für Integrität schwächen.

  • Die Leitlinien der Integritätsberater*innen und der direkten Vorgesetzten innerhalb einer Einrichtung können voneinander abweichen.

  • Frühere Integritätsempfehlungen können von den Mitarbeiter*innen auf neue Sachverhalte übertragen werden, selbst wenn sich die neue Situation anders darstellt und möglicherweise ein anderes Verhalten geboten ist.

Um dem entgegenzuwirken, kann z. B. klar kommuniziert werden, dass die Integritätsberater*innen erst dann kontaktiert werden sollen, wenn andere Akteur*innen (z. B. direkte Vorgesetzte oder die Führungsspitzen) keine zufriedenstellenden Antworten geben können. Außerdem kann es sinnvoll sein, Leitung und Führungskräfte gegebenenfalls über die Empfehlungen der Integritätsberater*innen in Kenntnis zu setzen, um widersprüchliche Anweisungen zu vermeiden (OECD, 2009[2]).

Literaturverzeichnis

[22] APSC (o. J.), “Ethics advisory service charter”, Australian Public Service Commission, https://www.apsc.gov.au/ethics-advisory-service-service-charter (Abruf: 18. Juni 2019).

[17] Bazerman, M. und A. Tenbrunsel (2011), Blind spots: Why We Fail to Do What’s Right and What to Do about It, Princeton University Press, Princeton.

[7] Bursztyn, L. et al. (2016), “Moral Incentives in Credit Card Debt Repayment: Evidence from a Field Experiment”, Paper, http://home.uchicago.edu/~bursztyn/Moral_Incentives_20161115.pdf.

[9] Gino, F. und C. Mogilner (2014), “Time, Money, and Morality”, Psychological Science, Vol. 25/2, S. 414-421, https://doi.org/10.1177/0956797613506438.

[14] HATVP (2019), Guide déontologique: Manuel à l’usage des responsables publics et des référents déontologues, Haute Autorité pour la transparence de la vie publique, Paris, https://www.hatvp.fr/wordpress/wp-content/uploads/2019/04/HATVP_guidedeontoWEB.pdf.

[13] HATVP (2019), Rapport d’activité 2018, Haute Autorité pour la transparence de la vie publique, Paris, https://www.hatvp.fr/rapports_activite/rapport_2018/pdf/HATVP_RA2018.pdf.

[20] Kirkpatrick, D. (1994), Evaluating Training Programs: The Four Levels, Berrett-Koehler, San Francisco.

[6] Mazar, N. und D. Ariely (2006), “Dishonesty in Everyday Life and Its Policy Implications”, Journal of Public Policy & Marketing, Vol. 25/1, S. 117-126, http://www.jstor.org/stable/30000530.

[21] McGivern, M. und P. Bernthal (2002), “Measuring Training Impact”, The Catalyst, Vol. 32/1, https://www.questia.com/magazine/1P3-331979131/measuring-training-impact (Abruf: 24. Januar 2020).

[5] OECD (2019), OECD Integrity Review of Argentina: Achieving Systemic and Sustained Change, OECD Public Governance Reviews, OECD Publishing, Paris, https://dx.doi.org/10.1787/g2g98ec3-en.

[23] OECD (2017), Government at a Glance 2017, OECD Publishing, Paris, https://dx.doi.org/10.1787/gov_glance-2017-en.

[3] OECD (2017), Integrity in Customs: Taking Stock of Good Practices, OECD, Paris, https://www.oecd.org/gov/ethics/G20-integrity-in-customs-taking-stock-of-good-practices.pdf.

[1] OECD (2017), OECD-Empfehlung des Rats zu Integrität im öffentlichen Leben, OECD, Paris, https://www.oecd.org/gov/ethics/recommendation-public-integrity.

[10] OECD (2017), OECD Integrity Review of Mexico: Taking a Stronger Stance Against Corruption, OECD Public Governance Reviews, OECD Publishing, Paris, https://dx.doi.org/10.1787/9789264273207-en.

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[15] OECD (2016), “Country case: Integrity training in Germany”, Public Procurement Toolbox, OECD, Paris, http://www.oecd.org/governance/procurement/toolbox/search/integrity-training-in-germany.pdf.

[12] OECD (2016), Survey on Strategic Human Resources Management in Central/Federal Governments of OECD Countries, OECD, Paris, http://www.oecd.org/gov/survey-on-strategic-human-resources-management-2016.pdf.

[2] OECD (2009), “Towards a Sound Integrity Framework: Instruments, Processes, Structures and Conditions for Implementation”, Konferenzpapier, GOV/PGC/GF(2009)1, Globales Forum Öffentliche Governance, OECD, Paris, http://www.oecd.org/officialdocuments/publicdisplaydocumentpdf/?doclanguage=en&cote=GOV/PGC/GF(2009)1.

[16] OGE (2016), Library of Annual Training Scenarios, U.S. Office of Government Ethics, Washington, D.C., https://www.oge.gov/Web/OGE.nsf/Resources/Library+of+Annual+Training+Scenarios+ (Abruf: 24. September 2019).

[18] Pearson, J. (2011), “Training and Beyond: Seeking Better Practices for Capacity Development”, OECD Development Co-operation Working Papers, No. 1, OECD Publishing, Paris, https://dx.doi.org/10.1787/5kgf1nsnj8tf-en.

[8] Pruckner, G. und R. Sausgruber (2013), “Honesty on the Streets: A Field Study on Newspaper Purchasing”, Journal of the European Economic Association, Vol. 11/3, S. 661-679, https://doi.org/10.1111/jeea.12016.

[11] SBST (2015), Social and Behavioral Sciences Team: Annual Report, Social and Behavioural Sciences Team, Executive Office of the President National Science and Technology Council, Washington, D.C., https://sbst.gov/download/2015%20SBST%20Annual%20Report.pdf.

[19] Van Montfort, A., L. Beck und A. Twijnstra (2013), “Can Integrity Be Taught in Public Organizations?”, Public Integrity, Vol. 15/2, S. 117-132, https://doi.org/10.2753/PIN1099-9922150201.

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