2. Zuständigkeiten
In diesem Kapitel wird der Begriff „Verantwortlichkeiten“ bzw. „Zuständigkeiten“ erläutert, der in der Empfehlung des Rates der OECD zu Integrität im öffentlichen Leben als ein wichtiger Grundsatz verankert wurde. Dabei wird beschrieben, wie auf allen relevanten Ebenen klare Zuständigkeiten für die Konzipierung, Leitung und Umsetzung der einzelnen Elemente des Integritätssystems festgelegt und angemessene Kapazitäten und Ressourcen dafür vorgesehen werden können. Darüber hinaus werden die verschiedenen Arten von Mechanismen beleuchtet, die innerhalb des Integritätssystems die horizontale und vertikale Zusammenarbeit fördern. Abschließend wird auf die zwei Phänomene eingegangen, die im Zusammenhang mit Verantwortlichkeiten immer wieder für Herausforderungen sorgen: Silodenken und Konkurrenz zwischen den für die Integritätssicherung zuständigen Stellen.
Ein Integritätssystem erfordert klare Zuständigkeiten, damit die Zusammenarbeit gelingt und es zu keinen Überschneidungen oder einer Fragmentierung des Systems kommt. Zu diesen Verantwortlichkeiten gehören die Entwicklung, die Umsetzung, das Monitoring und die Evaluierung der Integritätsstandards und -instrumente. Sie werden von Akteur*innen aller Ressorts (Legislative, Exekutive und Judikative) und aller Ebenen (national und subnational) wahrgenommen, wobei grundsätzlich jede öffentliche Einrichtung in Bezug auf Integrität im öffentlichen Leben bestimmte Verantwortlichkeiten innehat. Alle öffentlich Bediensteten aller staatlichen Ebenen sind verpflichtet, ihre Aufgaben und Pflichten im Interesse der Öffentlichkeit auszuüben.
Um eine Fragmentierung des Integritätssystems und Überschneidungen zu vermeiden, fordert die OECD in ihrer Empfehlung zu Integrität im öffentlichen Leben die zustimmenden Länder dazu auf, „institutionelle Verantwortlichkeiten im öffentlichen Sektor [zu] klären, um die Wirksamkeit des öffentlichen Integritätssystems zu stärken, insbesondere indem sie
a) bei der Konzeption, Einrichtung und Umsetzung der Elemente des öffentlichen Integritätssystems auf den entsprechenden Ebenen (Organisationsebene, subnationale oder nationale Ebene) für klare Verantwortlichkeiten sorgen,
b) sicherstellen, dass alle Beschäftigten, Einheiten oder Gremien (einschließlich autonomer und/oder unabhängiger Einheiten und Gremien) mit zentraler Verantwortung für die Entwicklung, Umsetzung, Durchsetzung und/oder Kontrolle von Elementen des öffentlichen Integritätssystems in ihrem Zuständigkeitsbereich das passende Mandat und die Fähigkeit zur Erfüllung ihrer Aufgaben haben,
c) Mechanismen für horizontale und vertikale Zusammenarbeit zwischen jenen Beschäftigten, Einheiten oder Gremien und gegebenenfalls mit und zwischen subnationalen staatlichen Ebenen durch formelle oder informelle Mittel [...] fördern, um für stärkere Kohärenz zu sorgen, Überschneidungen und Lücken zu vermeiden und die aus guten Verfahrensweisen gewonnenen Erkenntnisse zu teilen und darauf aufzubauen“ (OECD, 2017[1]).
Um sich der Förderung von Integrität und der Korruptionsbekämpfung mit einem systemischen Ansatz zu nähern, muss zunächst die große Bandbreite an Einrichtungen und Akteuren erfasst werden, die gemeinsam das Integritätssystem ausmachen. Außerdem muss Klarheit darüber herrschen, über welche Mandate und Fähigkeiten sie verfügen und welche Funktionen sie im Gesamtsystem erfüllen. Je nach dem jeweiligen politischen und rechtlichen Kontext sollte jedes Regierungsorgan (national und subnational) und jede öffentliche Einrichtung klare Rollen und Zuständigkeiten innerhalb des Integritätssystems übernehmen. Für eine gute Zusammenarbeit und damit die Verantwortlichkeiten erfolgreich wahrgenommen werden können, müssen folgende Voraussetzungen gegeben sein:
Die Zuständigkeiten für die Konzipierung, Leitung und Umsetzung des Integritätssystems sind auf allen Ebenen klar festgelegt.
Die Einrichtungen verfügen über angemessene Mittel und Kapazitäten, um ihre Zuständigkeiten wahrzunehmen.
Es bestehen wirksame Mechanismen für die horizontale und vertikale Zusammenarbeit.
2.2.1. Die Zuständigkeiten für die Konzipierung, Leitung und Umsetzung des Integritätssystems sind auf allen Ebenen klar festgelegt
An jedem Integritätssystem, ob auf Regierungsebene (national und subnational) oder Organisationsebene, sind verschiedene Akteure beteiligt, die in unterschiedlicher Weise für die Definition, Förderung, Kontrolle und Durchsetzung von Integrität im öffentlichen Leben zuständig sind. Dazu gehören einerseits „Hauptakteure“ wie Institutionen, Referate und Einzelpersonen, die für die Umsetzung der Integritätsmaßnahmen zuständig sind, und andererseits „Nebenakteure“, die zwar nicht primär dafür zuständig sind, das Integritätssystem zu unterstützen, die aber notwendig für das reibungslose Funktionieren des Systems sind (zum Beispiel Funktionen wie Finanzen, Personalmanagement und Auftragsvergabe) (OECD, 2009[2]).
Sowohl die Haupt- als auch die Nebenakteure stellen eine Reihe von Integritätsfunktionen, wie in Tabelle 2.1 aufgeführt. Wer für welchen Bereich zuständig ist, hängt von der institutionellen und rechtlichen Struktur des jeweiligen Landes ab. So sind in manchen Ländern beispielsweise Dienststellen der Zentralregierung oder andere wichtige Ministerien für Integritätsfragen zuständig, anderswo hingegen wird diese Rolle von einer unabhängigen oder eigenständigen Einrichtung übernommen (Kasten 2.1). Die Institutionen, die für Bildung, Industrie, die Zivilgesellschaft und Personalfragen zuständig sind, sowie hohe Aufsichtsbehörden, Regulierungsbehörden und Wahlgremien haben hingegen eine Nebenfunktion inne. Unabhängig von der konkreten Verteilung der Zuständigkeiten sollte darauf geachtet werden, dass die betreffenden Akteure über die nötigen Befugnisse verfügen, die ihnen zugewiesenen Funktionen auszuüben.
Die Verteilung der Verantwortlichkeiten für einzelne Integritätsfunktionen hängt auch vom rechtlichen Aufbau der Länder ab, wobei zu beachten ist, welche Regierungsebene für welchen Politikbereich zuständig ist. In manchen Föderalstaaten sind beispielsweise die subnationalen Regierungen für Bildung zuständig, sodass die Verantwortung für die Ausarbeitung und Umsetzung politischer Bildungsprogramme zu Integrität im öffentlichen Leben auf subnationaler Ebene liegt.
In manchen Ländern gibt es eine unabhängige Antikorruptionsstelle, die für die Beaufsichtigung verschiedener Integritätsfunktionen zuständig ist. Wenn das System gut funktioniert, können dadurch Lücken und potenzielle Überschneidungen verringert werden. In Griechenland wurde mit der Nationalen Transparenzstelle (National Transparency Authority – NTA) beispielsweise eine einheitliche Organisation geschaffen, die die bisherigen Einrichtungen und Behörden in diesem Bereich unter einem Dach vereint. Sie ist zuständig für die Stärkung der Integrität, Transparenz und Rechenschaftspflicht in öffentlichen Einrichtungen, die Prävention, Aufdeckung und Bekämpfung von Betrug und Korruption im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft, das Erreichen messbarer Ergebnisse bei der Korruptionsbekämpfung und für den Aufbau von Kapazitäten und die Sensibilisierung für diese Fragen. Mit der Gründung der NTA wurde beabsichtigt, der Überschneidung von Zuständigkeiten, Koordinierungsschwierigkeiten und Fragmentierung ein Ende zu setzen.
Eine andere Möglichkeit ist die Einrichtung unabhängiger Organisationen, die spezifische Integritätsfunktionen innehaben und beispielsweise dafür zuständig sind, die Regelungen zum Umgang mit Interessenkonflikten, die Lobbyarbeit oder die Parteienfinanzierung zu beaufsichtigen oder bestimmte Fachbereiche wie die Betrugsprävention zu leiten. Dadurch kann der Staat Kompetenzen und Ressourcen auf ganz bestimmten Fachgebieten aufbauen und diese konzentrieren, was die Umsetzung des Integritätssystems erleichtern kann. Beispiele für spezialisierte Einrichtungen dieser Art sind etwa die Behörde für schwerwiegende Betrugsfälle (Serious Fraud Office) im Vereinigten Königreich, das Amt des Kommissars für Lobbyarbeit (Office of the Commissioner of Lobbying) in Kanada oder die Hohe Behörde für Transparenz im öffentlichen Leben (Haute Autorité pour la transparence de la vie publique – HATVP) in Frankreich. Die HATVP ist beispielsweise eine unabhängige Behörde, die für die Förderung der Integrität und Beispielhaftigkeit öffentlich Bediensteter zuständig ist. Ihre Unabhängigkeit wird durch die Ernennung und Funktionsweise des Kollegiums und ihre administrative und finanzielle Eigenständigkeit gewährleistet. Zu ihren Zuständigkeiten gehört unter anderem die Überwachung und Nachverfolgung des Vermögens von rd. 16 000 Amtsträger*innen, um Interessenkonflikte zu vermeiden, die Einschränkungen bei Wechseln in die freie Wirtschaft zu überwachen und verschiedene Lobbytätigkeiten zu beaufsichtigen.
Erfahrungsgemäß sind unabhängige Antikorruptionsstellen allerdings nicht immer zielführend. Durch ihre Unabhängigkeit sind sie zwar meistens vor politischem Druck geschützt, aufgrund ihrer Abkopplung von der Organisationskultur sind sie jedoch häufig nicht in der Lage, wirksame Veränderungen zu erzielen. Außerdem können unabhängige Stellen zwar zu klaren Zuständigkeitsverhältnissen beitragen, doch sie bringen auch die Gefahr mit sich, dass andere öffentliche Einrichtungen ihre Integritätsverantwortung abwälzen, weil sie sich darauf verlassen, dass die unabhängige Stelle alle Integritätsfunktionen ausübt. Angesichts dieser Herausforderungen verfolgen einige Länder eine Strategie der „systematischen Einbindung“, nach der bestehende öffentliche Einrichtungen – beispielsweise ein Amt der Zentralregierung oder die für öffentliche Verwaltung zuständige Behörde – damit beauftragt werden, verschiedene Integritätsfunktionen zu beaufsichtigen, wobei jede Einrichtung dafür verantwortlich ist, ein auf sie zugeschnittenes Integritätskonzept intern umzusetzen. In einigen Ländern wird ein kombinierter Ansatz verfolgt, d. h. einerseits gibt es unabhängige Stellen, die spezifische Integritätsfunktionen übernehmen, und gleichzeitig werden andere Integritätsfunktionen systematisch in die verschiedenen öffentlichen Einrichtungen eingebettet.
Quelle: Griechenland: Adaptiert von Informationen der Nationalen Transparenzstelle (NTA). Frankreich: Adaptiert von Informationen der Hohen Behörde für Transparenz im öffentlichen Leben (HATVP).
Sollen die Zuständigkeiten für Integritätsfragen auf der lokalen Ebene verteilt werden, sind dabei mehrere Aspekte zu beachten. Einerseits sind Kommunen mit spezifischen Integritätsrisiken verbunden: Durch die engen Verbindungen innerhalb der Gemeinde steigt die Gefahr von Interessenkonflikten, denn familiäre Beziehungen und Netzwerke sind ein wichtiger Teil des kommunalen Lebens. Andererseits ist die personelle, finanzielle und technische Ausstattung von Kommunen teilweise begrenzt, sodass es schwierig ist, alle in der Tabelle 2.1 aufgeführten Funktionen auf eine bestimmte Einrichtung, ein bestimmtes Referat oder eine bestimmte Einzelperson zu übertragen. Daher ist es sinnvoll, die Kapazitätseinschränkungen der Kommunen gegen die bestehenden Integritätsrisiken abzuwägen und die Zuständigkeiten entsprechend zu verteilen (Kasten 2.2). In jedem Fall sollten eigene Verfahren für den Umgang mit Interessenkonflikten sowie eigene Funktionen für eine grundlegende Innenrevision eingerichtet werden. Da zusätzliche Funktionen möglicherweise zu ressourcenintensiv sind, um sie in jeder Kommune anzusiedeln, kann es ratsam sein, bestimmte Integritätsaufgaben auf regionaler oder nationaler Ebene zu verteilen. So könnte ein bereits bestehender Whistleblowing-Mechanismus auf regionaler Ebene beispielsweise auch auf die Kommunen ausgeweitet werden. Formelle und informelle Netzwerke auf horizontaler oder vertikaler Ebene können ebenfalls hilfreich dabei sein, Stellen zu ermitteln, die für eine bestimmte Funktion infrage kommen (siehe Abschnitt 2.2.3). Am wichtigsten ist es sicherzustellen, dass die Zuständigkeiten für die einzelnen Integritätsfunktionen unabhängig von der staatlichen Ebene klar verteilt sind.
Die folgenden Beispiele zeigen, wie verschiedene Kommunen dabei vorgegangen sind, Integritätsfunktionen nach Fähigkeiten und Mitteln zu verteilen.
Niederlande
Die meisten Städte und Kommunen in den Niederlanden entwickeln und setzen ihre eigenen Integritätskonzepte um. Die Integritätsstelle (Bureau Integriteit – BI) der Stadt Amsterdam ist beispielsweise dafür verantwortlich, bei führenden lokalen Politiker*innen und Verwaltungsbediensteten, in der gesamten Stadtverwaltung und auch bei Dienstleistern und in Unternehmen für mehr Integrität zu sorgen. Ihr Mandat umfasst die Beratung zu ethischen und Rechtsfragen, Schulungen, Risikoabschätzungen, Disziplinarverfahren sowie die Verfolgung mutmaßlicher Integritätsverletzungen. Das Amt ist dabei auch Zulaufstelle für Whistleblower, die ein Fehlverhalten oder einen Verstoß gegen eine Integritätsvorschrift melden wollen. Die Mitarbeiter*innen werden speziell dazu geschult, zu Integritätsfragen zu beraten, und haben in der Regel reichlich Diensterfahrung in der Amsterdamer Stadtverwaltung.
Frankreich
In Frankreich haben mehrere große Städte und Regionen ein Integritätskonzept inklusive spezifischer Integritätsfunktionen erstellt und umgesetzt. Die Stadt Paris hat seit 2014 eine Ethikkommission, die für Interessenkonflikte und die Offenlegung von Vermögen, Geschenken und Zuwendungen sowie für die Auslegung und Anwendung des Verhaltenskodex zuständig ist und zusätzlich eine beratende Funktion ausübt. Im selben Jahr schuf die Stadt Straßburg das Amt eines*einer unabhängigen Ethikbeauftragten mit ähnlichen Aufgaben, um die Integrität von Führungskräften in Politik und Verwaltung sowie generell in der Stadtverwaltung zu fördern. Eine ähnliche Strategie verfolgen beispielsweise Regionen wie Provence-Alpes-Côte d’Azur. Seit der Reform des öffentlichen Dienstes im Jahr 2016 haben alle öffentlich Bediensteten unabhängig von ihrem Status das Recht, sich zu ethischen Fragen im öffentlichen Dienst beraten zu lassen. Die Einrichtungen müssen die Zuständigkeit dafür intern oder extern vergeben. In Frankreich gibt es allerdings knapp 35 000 Kommunen, von denen 90 % weniger als 5 000 Einwohner*innen zählen und deren Finanz- und Personalressourcen beschränkter sind. Die Integritätsfunktionen in Tabelle 2.1 werden deshalb teilweise von einer lokalen Verwaltungsstelle, einem*einer Generaldirektor*in oder (einer) anderen Person(en) im öffentlichen Verwaltungsapparat übernommen, oder aber es findet überhaupt keine lokale Zuweisung statt und sie werden von anderen Akteur*innen im Integritätssystem übernommen.
Quelle: Niederlande: Stadt Amsterdam (o. J.[3]). Frankreich: Stadt Paris (o. J.[4]); Stadt Straßburg (o. J.[5]); Government of France (2016[6]).
Nicht alle der in Tabelle 2.1 aufgeführten Funktionen können von allen öffentlichen Einrichtungen gewährleistet werden. So haben beispielsweise nur wenige Einrichtungen das Mandat dafür, bei Wahlen und bei der Parteienfinanzierung für Integrität zu sorgen oder in den Schulen Bildungsmaßnahmen zu Integrität im öffentlichen Leben durchzuführen. Bestimmte Schlüsselfunktionen werden allerdings von allen Einrichtungen wahrgenommen, und zwar unabhängig von ihrem Mandat. Diese Funktionen sind in Tabelle 2.2 aufgeführt, gemeinsam mit der jeweiligen Position oder dem Referat, die bzw. das in der Regel für die Umsetzung verantwortlich ist. Wichtig ist dabei, dass klar festgelegt ist, welches Referat bzw. welche Einzelperson wofür verantwortlich ist. Außerdem sollten die nötigen Ressourcen bereitgestellt werden und angemessene Kooperationsmechanismen bestehen (wie nachstehend erläutert).
2.2.2. Die Einrichtungen verfügen über angemessene Mittel und Kapazitäten, um ihre Zuständigkeiten wahrzunehmen
Jeder Bestandteil des Integritätssystems muss seinem Mandat entsprechend über ausreichende finanzielle, technische und personelle Mittel sowie angemessene Kapazitäten verfügen, um seine Rolle erfüllen und seine Zuständigkeiten wahrnehmen zu können.
Aus systemischer Sicht bedeutet das Folgendes: Werden die Mittel für einen bestimmten Teil des Systems so stark gekürzt, dass dieser nicht mehr richtig funktioniert, wird dadurch nicht nur die Mandatserfüllung dieser Funktion beeinträchtigt, sondern das Gesamtsystem insgesamt geschwächt, wodurch die gewünschten Ziele möglicherweise verfehlt werden. Zweitens müssen alle Akteure mit den nötigen Mitteln ausgestattet werden, um Zusammenarbeit erst zu ermöglichen, etwa im Rahmen von Partnerschaften, durch die Teilnahme an Gremiensitzungen oder die Mitarbeit an gemeinsamen Datenbanken. Stehen nur eingeschränkte Mittel zur Verfügung, wird der Fokus meistens unbewusst auf vertikale Abläufe und Zielvorgaben gelegt anstatt auf horizontale Zusammenarbeit. Dadurch kann es zu verstärktem Silodenken und einer Fragmentierung bzw. Lücken im Integritätssystem kommen.
Damit die Umsetzung von Integritätskonzepten auf Organisationsebene gelingt, müssen öffentliche Einrichtungen außerdem für ein modernes Personalmanagement sorgen, das darauf ausgerichtet ist, genau das Wissen in die Organisation zu holen, das sie braucht. Die integritätsbezogenen Kompetenzen werden immer spezialisierter, technischer und digitaler: Gebraucht werden u. a. Personen mit juristischer Ausbildung oder Erfahrung in der Ermittlungsarbeit, mit IT-Kenntnissen, mit Fachwissen in den Bereichen öffentliche Verwaltung, Buchhaltung und Finanzen, Personen mit Kenntnissen über spezifische Branchen, Supportkräfte usw. Daher müssen auch die Personalregelungen entsprechend angepasst werden. Angesichts des Fachkräftemangels, mit dem sich viele für die Wahrung der Integrität zuständige Stellen konfrontiert sehen, ist es wichtig, das vorhandene Fachwissen bestmöglich zu nutzen. Hierzu bieten sich verschiedene Strategien an:
Über zentral eingerichtete Talentpools können einzelne Organisationen sich Unterstützung von Mitarbeiter*innen holen, die sie ansonsten möglicherweise nur schwer dauerhaft halten könnten.
Durch Rotationsprogramme, an denen verschiedene Akteure innerhalb des Systems teilnehmen, können Mitarbeiter*innen systematisch für einen bestimmten Zeitraum ausgetauscht werden (z. B. zwischen lokalen Integritätsbehörden). Gleichzeitig sind eine bestimmte Kontinuität und Arbeitsplatzsicherheit wichtig, um Wissen und Fachkompetenzen aufzubauen und den Lernaufwand für die Koordinierung zwischen den einzelnen Stellen möglichst gering zu halten.
Ständige Weiterbildung und lebenslanges Lernen können zu einem Schwerpunkt gemacht werden (vgl. Kapitel 8).
Qualitatives und quantitatives Monitoring der Personalressourcen, die auf den verschiedenen Ebenen für die Integritätssysteme zur Verfügung stehen, können Engpässe und Verbesserungspotenziale zu ermittelt werden.
2.2.3. Es bestehen wirksame Mechanismen für die horizontale und vertikale Zusammenarbeit
Wenn verschiedene institutionelle Akteure zusammenarbeiten, muss bei der Verteilung der Zuständigkeiten vor allem sichergestellt werden, dass alle Beteiligten – unabhängig vom Grad ihrer Eigenständigkeit – auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten, damit Integritätsmaßnahmen auch tatsächlich Wirkung zeigen. Durch die Zusammenarbeit verschiedener Akteure, die jeweils für unterschiedliche Integritätsinstrumente und -funktionen zuständig sind, können zudem Synergien erkannt und somit Überschneidungen und Lücken vermieden werden (OECD, 2009[2]). Im Mittelpunkt steht immer die Absicht, „den politischen und operativen Nutzen der Zusammenarbeit zwischen integritätsbezogenen Stellen zu maximieren und gleichzeitig die größten Risiken aus der Sicht der Bürger*innen und der Nutzer*innen – nämlich Augenblicksentscheidungen, Zuständigkeitslücken, ein Ungleichgewicht zwischen Anreiz- und Zwangsmaßnahmen, ein möglicherweise ungesunder Wettbewerb, Konflikte und Verwirrung – zu vermeiden“ (Sampford, C., R. Smith und A. Brown, 2005[8]).
Sowohl die vertikale Zusammenarbeit zwischen verschiedenen staatlichen Ebenen als auch die horizontale Zusammenarbeit zwischen Fachministerien, Behörden und Referaten sind wichtig, um Integritätsmaßnahmen systematisch in die öffentliche Verwaltung einzubinden (Kasten 2.3). Für das Zustandekommen dieser Kooperationen gibt es zwei Möglichkeiten (wobei einzelne Mechanismen auch in beide Kategorien fallen könnten und dadurch ein Graubereich entsteht):
auf formalem Weg, d. h. durch Strukturen und Verfahren, die gezielt dafür eingerichtet werden, um die Zusammenarbeit innerhalb des Integritätssystems zu fördern; zum Beispiel, wenn eine gemeinsame Behörde ins Leben gerufen wird oder eine Kommission gegründet wird, um verschiedene Akteure innerhalb des Systems zusammenzubringen, oder wenn in einem Ministerium oder einer Behörde eine Integritätsstelle eingerichtet wird
auf informellem und freiwilligem Weg, d. h. durch Integritätsnetzwerke, Ad-hoc-Arbeitsgruppen oder andere Basisinitiativen wie etwa Onlineplattformen für Wissensmanagement.
In Kanada sind beim Treasury Board Secretariat, einer Behörde der Zentralregierung, zwei Arbeitsgemeinschaften angesiedelt, die sich mit Integritätsfragen auseinandersetzen:
Das ressortübergreifende Werte- und Ethiknetzwerk (Interdepartmental Values and Ethics Network) und
die Gruppe hochrangiger Bediensteter für interne Offenlegung (Senior Officers for Internal Disclosure Group), die sich mit dem Thema Whistleblowing beschäftigt.
Die Arbeitsgemeinschaften treffen sich regelmäßig und profitieren davon, von bewährten Verfahren und wichtigen Erkenntnissen anderer zu erfahren.
Die Gruppen und ihr regelmäßiger Austausch bieten dem Treasury Board Secretariat die Möglichkeit, auf formlose Weise auf dem neuesten Stand aktueller Herausforderungen zu bleiben. Die dadurch gewonnenen Informationen fließen teilweise auch in konkrete Integritätsmaßnahmen oder die Sensibilisierungs- und Kommunikationsarbeit des Sekretariats ein.
Quelle: Adaptiert aus Informationen des Treasury Board Secretariat.
In welchem Umfang und wie genau eine Zusammenarbeit erfolgt, hängt vom konkreten Umgang eines Landes mit Integrität im öffentlichen Leben und dem Governance-System ab, das den Rahmen für die einzelnen Integritätsmaßnahmen bildet. Zunächst sollte vielleicht die Frage nach dem Warum der Zusammenarbeit beantwortet werden, denn je nach Funktion ist möglicherweise ein anderer Ansatz erforderlich. Eine zweite Frage ist, wer mit wem zusammenarbeiten soll – vor allem wenn es um Haupt- und Nebenfunktionen geht, die möglicherweise ebenfalls unterschiedliche Ansätze erfordern (OECD, 2009[2]). So kann für die Zusammenarbeit zwischen Kernfunktionen etwa ein umfassenderer und förmlicherer Rahmen erforderlich sein, während die Zusammenarbeit zwischen Nebenfunktionen möglicherweise unregelmäßiger erfolgt und daher ein formloser Mechanismus ausreicht.
Es gibt verschiedene Mechanismen, um Zusammenarbeit gezielt zu fördern:
formelle Mechanismen, um einheitliche Entscheidungen zu gewährleisten und Unterstützung, Kommunikation und Informationsaustausch zu ermöglichen
informelle Mechanismen, um horizontalen Austausch und Unterstützung zu ermöglichen
maßgeschneiderte Mechanismen für nationale und subnationale Ebenen, die dem Governance-Rahmen des jeweiligen Landes entsprechen
Formelle Mechanismen, um einheitliche Entscheidungen zu gewährleisten und Unterstützung, Kommunikation und Informationsaustausch zu ermöglichen
Ob und inwieweit es innerhalb eines Integritätssystems zu einer Zusammenarbeit kommt, hängt zumindest teilweise von den rechtlichen und Governance-Regelungen ab, die für das System gelten. Eine wichtige Überlegung ist dabei die Zentralisierung der Kooperationsfunktion. In manchen Ländern ist diese an einer sichtbaren und zentralen Stelle der Regierung – etwa im Amt des*der Präsident*in oder unter dem Minister*innenrat – angesiedelt, um die Bedeutung der Funktion zu unterstreichen. Anderswo wird die Funktion zum Beispiel von einer unabhängigen Einrichtung wie einer Integritätsstelle oder der Obersten Rechnungskontrollbehörde ausgeübt. Unabhängig davon, wo genau die Funktion angesiedelt ist, erfordert die Rolle ein gewisses Maß an Einfluss und Entscheidungsbefugnis sowie klare hierarchische Verhältnisse gegenüber anderen Einrichtungen.
Denkbar ist auch ein eigenständiger Ausschuss, der mit angemessenen Ressourcen und Fachwissen ausgestattet ist. Ein solcher Ausschuss kann beispielsweise aus Bediensteten wichtiger Antikorruptionsbehörden und Fachministerien, anderer Regierungsressorts und Mitgliedern der Zivilgesellschaft bestehen. In Korea wurde beispielsweise eine Koordinierungsstelle für Antikorruptionspolitik eingerichtet, die aus Vertreter*innen zehn verschiedener Regierungsbehörden (Ministerien und Aufsichtsbehörden) besteht, um eine reibungslose Kommunikation zwischen den einzelnen Einrichtungen sicherzustellen. Ein weiteres Beispiel liefert Mexiko: Hier gibt es ein übergeordnetes Nationales Antikorruptionssystem, an dem eine große Bandbreite an Akteuren verschiedener Regierungsbereiche beteiligt sind und das verschiedene Kommunikationsinstrumente und Mechanismen zur Förderung des Informationsaustauschs umfasst (ausführliche Informationen dazu im OECD Integrity Review of Mexico (OECD, 2017[9]).
Erfolgreiche Zusammenarbeit erfordert immer auch wirksame Kommunikationsinstrumente und einen Mechanismus zum dienststellenübergreifenden Austausch wichtiger Informationen. Mit einer entsprechenden Kommunikationsstrategie können die zuständigen Koordinierungsstellen sicherstellen, dass alle Akteure innerhalb des Systems (einschließlich des privaten Sektors und der Zivilgesellschaft) über die geltenden Integritätsmaßnahmen informiert sind. Eine gewisse Regelmäßigkeit in der Kommunikation kann dabei auch das Engagement der Führungsspitzen verstärken und laufende Kooperationen aufrechterhalten. Ähnlich können auch Onlineportale und Verwaltungsdatenbanken verwendet werden, um Informationen zwischen den Einrichtungen auszutauschen und das Potenzial einer effizienten Zusammenarbeit dadurch zu erhöhen. Durch interoperable Verwaltungsdatenbanken können öffentliche Einrichtungen aktuelle Informationen austauschen, Daten besser abgleichen und automatisierte Warnungen einrichten (z. B. bei potenziellen Interessenkonflikten, fehlenden Angaben, Risiken oder Betrug). So könnten interoperable Datenbanken beispielsweise dafür genutzt werden, Steuerinformationen mit Interessen- und Vermögenserklärungen abzugleichen, wodurch fehlende Angaben oder Interessenkonflikte besser erkannt werden.
Informelle Mechanismen, um horizontalen Austausch und Unterstützung zu ermöglichen
In allen Ministerien, ob auf nationaler oder subnationaler Ebene, sind informelle Kooperationsmechanismen in Form von Integritätsnetzwerken möglich, an denen ausgewiesene Führungskräfte und Mitarbeiter*innen teilnehmen (siehe Beispiele aus Schweden und Deutschland in Kasten 2.4). Solche Netzwerke haben zwar häufig keine Entscheidungskompetenz, sie können durch den Austausch von bewährten Verfahren, Informationen und Erfahrungen aber dazu beitragen, die Wirksamkeit von Integritätssystemen zu verbesern. Außerdem können sie mit dafür sorgen, dass Integrität weiterhin auf der Agenda öffentlicher Einrichtungen bleibt. Unter Umständen brauchen formlose Strukturen wie diese allerdings ein gewisses Maß an formeller Unterstützung, damit sie richtig funktionieren (siehe Beispiel aus Österreich in Kasten 2.4).
Das österreichische Integritätsbeauftragten-Netzwerk (IBN)
Um den Integritätsgedanken durchgängig in alle Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung einzubringen, wurde in Österreich ein Netzwerk von Integritätsbeauftragten gegründet, um an verschiedenen Stellen der Bundesverwaltung (darunter Ministerien) eine*n Integritätsbeauftragte*n einzusetzen. Er*sie ist zuständig für:
Weiterleitung von Informationen über Integrität und Sensibilisierung
Funktion als Anlaufstelle für Fragen zu regelkonformem Verhalten
Für die Verwaltung des Netzwerks, das Erstellen und Zusammentragen integritätsbezogener Fachinformationen, die Vermittlung grundlegender Kenntnisse und die Erarbeitung von Schulungsunterlagen für die Integritätsbeauftragten ist das Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) zuständig.
Der Initiativkreis Korruptionsprävention in Deutschland
In Deutschland hat das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat die Federführung für Korruptionsprävention und Integrität. Da es bei der Korruptionsprävention nicht darum geht, andere Ministerien zu beaufsichtigen, ist Zusammenarbeit unerlässlich, um ein gemeinsames Verständnis von Integritätspolitik zu entwickeln und umfassende Vorschriften für ihre Umsetzung festzulegen.
Die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) regelt neben anderen Fragen die Zusammenarbeit mit der Bundesregierung. Dort heißt es in Artikel 19: „In Angelegenheiten, die die Geschäftsbereiche mehrerer Bundesministerien berühren, arbeiten diese zusammen, um die Einheitlichkeit der Maßnahmen und Erklärungen der Bundesregierung zu gewährleisten.“
Im Bereich der Korruptionsprävention findet die Zusammenarbeit über einen Initiativkreis mit Ansprechpersonen statt, die in regelmäßigen Abständen zusammenkommen. Darüber hinaus erarbeitet der Initiativkreis Leitlinien, Handbücher und Empfehlungen zur Umsetzung der Richtlinie der Bundesregierung zur Korruptionsprävention in der Bundesverwaltung.
Das Netzwerk gegen Korruption der schwedischen Staatsbehörden
Das Netzwerk gegen Korruption der schwedischen Staatsbehörden ist bei der schwedischen Behörde für öffentliche Verwaltung angesiedelt. Es setzt sich aus den Leiter*innen verschiedener Verwaltungs- und Rechtsabteilungen zusammen und veranstaltet 4 reffen im Jahr, bei denen rd. 100 Behörden und Ämter vertreten sind.
Neben dem Austausch von Erfahrungen und bewährten Praktiken ist es ein weiteres Ziel des Netzwerks, an der Gestaltung von Handbüchern, Berichten und anderen Publikationen der schwedischen Behörde für öffentliche Verwaltung mitzuwirken, wenn diese Themen wie Antikorruptionsmaßnahmen, Innenrevision und Effizienz betreffen.
Quelle: IBN (o. J.[10]); Deutschland: Informationen des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat; Schweden: Informationen der schwedischen Behörde für öffentliche Verwaltung.
Der formelle Rückhalt verleiht den Netzwerken mehr Sichtbarkeit, eine stärkere Legitimation als Beratungsinstanz und eine nachhaltige Stütze für ihre Arbeit. Die polnische Abteilung für den öffentlichen Dienst beispielsweise leitet und unterstützt ein Netzwerk von Ethik- und Integritätsberater*innen. Durch diese Unterstützung wurde ein Bewusstsein für die Rolle der Ethikberater*innen geschaffen bzw. dieses geschärft (die Ernennung von Ethikberater*innen ist im polnischen öffentlichen Dienst freiwillig) und gleichzeitig der Bedarf erkannt, ethische Leitlinien festzulegen und in öffentlichen Einrichtungen ein entsprechendes Beratungsangebot einzurichten. Inzwischen werden in den staatlichen Behörden häufiger Ethikberater*innen bestellt.
Auch andere Mechanismen wie Workshops, Foren und gemeinsame Kommunikationsstrategien können die informelle Zusammenarbeit zwischen einzelnen Einrichtungen unterstützen:
Im Rahmen von Workshops können praktische Verfahren und Instrumente entwickelt werden. Eignet sich ein Verfahren für mehrere Einrichtungen, ist es im Sinne der Effizienz und eines gemeinsamen Vorgehens ratsam, dieses gemeinsam zu entwickeln.
In Kompetenzpools werden seltene Fachkenntnisse gebündelt, auf die alle teilnehmenden Einrichtungen Zugang haben. So können Ermittler*innen, Trainer*innen oder politische Berater*innen für Integritätsfragen von mehreren kleineren Einrichtungen gemeinsam genutzt werden, falls es an den nötigen Kapazitäten fehlt, diese Expert*innen allein einzustellen.
Auf Foren können Integritätsbeauftragte verschiedener Einrichtungen zusammenkommen, um Wissen, Erfahrungen und wichtige Erkenntnisse auszutauschen. Die Treffen können dabei entweder als Präsenzveranstaltungen oder virtuell stattfinden.
Schließen sich mehrere Einrichtungen zusammen, um mit der Öffentlichkeit und/oder verschiedenen politischen Ebenen zu kommunizieren, um Integritätspolitik mitzugestalten, wird dafür ein gemeinsames Sprachrohr benötigt. Wenn es um Meinungsbildung geht, kann ein Zusammenschluss von mehreren Organisationen immer mehr bewirken als eine Organisation allein (Hoekstra, 2015[7]).
Maßgeschneiderte Mechanismen für nationale und subnationale Ebenen, die dem Governance-Rahmen des Landes entsprechen
Je nach ihrer Kultur, ihrer sozioökonomischen Entwicklung und dem Ausmaß und den Formen von Korruption können zwischen verschiedenen Regionen und Kommunen teilweise sehr große Unterschiede bestehen. Dadurch entstehen oft Integritätsstrategien, die sich von der auf nationaler Ebene oder in anderen Regionen verfolgten Integritätspolitik unterscheiden. Eine völlige Übereinstimmung ist zwar nicht notwendig, dennoch sollten Lücken und Diskrepanzen besser vermieden werden. Um für mehr Einheitlichkeit zu sorgen, kann der Staat klare Zuständigkeiten für die Integritätspolitik festlegen und für offene Kommunikationswege und Kooperationsmechanismen sorgen. Welche Mechanismen dabei infrage kommen, hängt von den Governance-Systemen des jeweiligen Landes ab.
In Föderalstaaten ist die föderale Ebene in der Regel nicht für öffentliche Integritätsbelange nachgeordneter staatlicher Stellen zuständig. Die Einheitlichkeit der Standards kann in solchen Fällen deshalb von einer freiwilligen Zusammenarbeit und einem freiwilligen Informationsaustausch abhängen. Durch regelmäßige Treffen im Rahmen eines formellen oder informellen Integritätsausschusses oder einer entsprechenden Kommission können Föderalstaaten den Informationsaustausch und die Einheitlichkeit der Integritätsstandards gezielt fördern (Kasten 2.5). Mit solchen Kooperationen soll sichergestellt werden, dass die Integritätssysteme auf subnationaler Ebene mit der nationalen Linie übereinstimmen, während gleichzeitig die Eigenheiten der jeweiligen Gebietskörperschaften berücksichtigt werden.
Die folgenden Beispiele aus Belgien und Kanada zeigen, wie die föderale Ebene die informelle Zusammenarbeit mit und zwischen den nachgeordneten Ebenen gezielt fördern kann.
Belgien – Beratungsausschuss
In Belgien wurde im Kanzleramt des Premierministers ein Beratungsausschuss eingerichtet, der sich mit Fragen der guten Regierungsführung beschäftigt und die Zusammenarbeit verschiedener staatlicher Ebenen vorsieht. Der Ausschuss tagt einmal im Monat und setzt sich aus den Minister*innen der Föderalregierung und ihren jeweiligen Pendants in den Kommunal- und Regionalregierungen zusammen. Die administrativen und logistischen Aufgaben des Ausschusses werden dabei vom Sekretariat des Beratungsausschusses übernommen. Dazu gehören etwa die Erstellung und Übermittlung der Tagesordnungen, die Organisation der Sitzungen sowie die Übermittlung von Beschlüssen. Darüber hinaus ist das Sekretariat für das Monitoring der zwischen den Einrichtungen geschlossenen Kooperationsabkommen sowie für die Veröffentlichung der Kooperationsabkommen zuständig, an denen die Föderalregierung beteiligt ist.
Kanada – Canadian Conflict of Interest Network
Das kanadische Netzwerk zur Vermeidung von Interessenkonflikten (Canadian Conflict of Interest Network – CCOIN) wurde 1992 ins Leben gerufen, um die ressortübergreifende Zusammenarbeit in Bezug auf den Umgang mit Interessenkonflikten zu formalisieren und zu verstärken. Die Kommissar*innen, die von den zehn Provinzen und drei Territorien Kanadas ernannt werden, treffen sich dabei einmal im Jahr mit zwei weiteren Kommissar*innen der Föderalregierung, die das Parlament und den Senat vertreten, um politische Strategien und damit verbundene Dokumente zu verbreiten, sich über bewährte Praktiken auszutauschen und ethische Fragen sowie die Machbarkeit bestimmter Konzepte zu besprechen.
Quelle: FÖD Kanzlei des Premierministers (o. J.[11]); Office of the Conflict of Interest and Ethics Commissioner (o. J.[12]).
Einige Zentralregierungen entwickeln Leitlinien und andere Werkzeuge (wie ressortübergreifende Verhaltenskodizes und Regelungen zum Umgang mit Interessenkonflikten), um den anderen staatlichen Ebenen dabei zu helfen, diese Bestimmungen auszulegen und anzuwenden. Auch der Rechtsrahmen kann dazu genutzt werden, Kooperationsmechanismen ausdrücklich als eine Maßnahme zum Schließen von Lücken auszuweisen. In diesem Fall kann die zentrale Ebene damit betraut sein, Leitlinien über die Einrichtung subnationaler Kommissionen und die Kommunikation zwischen der nationalen und den subnationalen Ebenen zu verfassen und Instrumente zu entwerfen, die für eine möglichst hohe Einheitlichkeit der subnationalen Integritätsstrategien sorgen (Kasten 2.6). Dabei geht es nicht darum, eine Einheitslösung zu entwickeln, sondern die nachgeordneten Ebenen bei der Umsetzung von Integritätspolitiken zu unterstützen, die – unabhängig von der Region – aus individueller Sicht nachvollziehbar sind.
In Kolumbien gibt es in jedem Verwaltungsgebiet (Departamento) eine sogenannte Comisión Regional de Moralización (CRM), die sich für die Umsetzung der nationalen Antikorruptionspolitik einsetzt und den Informationsaustausch und die Koordination zwischen den lokalen Initiativen der Behörden, die für die Prävention, Verfolgung und Bestrafung von Korruption zuständig sind, gewährleistet.
Die Kommissionen setzen sich aus den regionalen Vertreter*innen der Generalstaatsanwaltschaft, der kolumbianischen Finanzinspektion, des jeweils zuständigen Justizrats und der Finanzinspektionen der Departamentos, Kommunen und Bezirke zusammen. Die Teilnahme an den monatlichen Sitzungen ist verpflichtend und darf nicht delegiert werden (Gesetz Nr. 1474 aus dem Jahr 2011). Darüber hinaus kann die regionale Moralisierungskommission bei Bedarf auch um weitere Einrichtungen bzw. deren Vertreter*innen erweitert werden, z. B. um die Ombudsstelle, Vertreter*innen der Kommunen, spezialisierte Polizeifachkräfte, die Gouverneur*innen sowie die Vorsitzenden der Versammlung des jeweiligen Departamentos. Zur Förderung der Bürger*innenbeteiligung und gesellschaftlichen Kontrolle der Kommissionen muss mindestens einmal im Quartal ein Treffen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen stattfinden, um deren Forderungen, Bedenken und Beschwerden aufzunehmen.
Für eine einheitliche Linie zwischen den Verwaltungsgebieten sorgen eine Reihe von Leitlinien, die von der Comisión Nacional de Moralización (CNM) formuliert wurden, sowie Musterdokumente, die die Kommissionen bei der Umsetzung ihrer gebietsspezifischen Aktionspläne verwenden können. Dazu gehören etwa ein Dokument mit internen Vorschriften, ein Zweijahresverwaltungsbericht und eine Teilnehmer*innenliste. Daneben umfassen die Leitlinien einen Überblick über die wichtigsten Herausforderungen und bewährte Verfahren der Kommissionen.
Quelle: Kolumbianisches Gesetz Nr. 1474 von 2011; Operative Leitlinien für die regionalen Moralisierungskommissionen in Kolumbien (auf Spanisch), www.anticorrupcion.gov.co/SiteAssets/Paginas/lineamientosCRM/Cartilla_CRM.pdf (Abruf: 3. Februar 2020).
Die größte Herausforderung bei der Verteilung klarer Zuständigkeiten für Integrität liegt darin, die Gesamtkohärenz und insbesondere die einheitliche Umsetzung des Integritätssystems zu gewährleisten. Ein schlüssiges System ist ein System, in dem sich die Verantwortlichkeiten weder überschneiden noch fragmentiert sind und sie tatsächlich erfüllt werden. Damit das gelingt, müssen vertikale und horizontale Kooperationsmechanismen eingerichtet und angemessene Mittel bereitgestellt werden, wie in den Abschnitten 2.2.3 und 2.2.2 beschrieben. Auch braucht es geeignete Aufsichtsmechanismen, um etwaige Lücken zu erkennen, worauf in Kapitel 12 noch näher eingegangen wird. Mit Kooperationsmechanismen lassen sich zwar die Herausforderungen in Bezug auf die Zuständigkeitenverteilung lösen, allerdings bringen sie ihre eigenen Probleme mit sich – nämlich vor allem Silodenken und Wettbewerb zwischen den einzelnen Stellen.
2.3.1. Silodenken
Silodenken ist in vielen öffentlichen Einrichtungen ein Problem. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Hierarchische Strukturen, die Fokussierung auf bestimmte politische Schwerpunktthemen und Unterschiede beim Durchführungsmodus (z. B. Denker*innen, Planer*innen, Macher*innen) sind nur einige davon. Silos sind nicht grundsätzlich problematisch; teilweise können sie auch zu mehr Effizienz, optimierten Prozessen und einer stärkeren Kernkompetenz führen (Riberio, F., A. Giacoman und M. Trantham, 2016[13]). Zum Problem werden sie dann, wenn sie ein Referat oder eine Einrichtung daran hindern, ressortübergreifend zu arbeiten, um übergeordnete politische Themen – wie Integrität im öffentlichen Leben – zu behandeln.
Um die Nachteile von Silos zu beheben, kann der Staat verschiedene Maßnahmen ergreifen: Ein strategisches Konzept kann dazu dienen, die einrichtungs- oder regierungsspezifischen Integritätsziele inklusive erwarteter Ergebnisse und zugewiesener Verantwortlichkeiten klar darzulegen, potenzielle Silos aufzudecken und die einzelnen Referate und Einrichtungen zur Zusammenarbeit und Formulierung gemeinsamer Ziele anzuregen. Der Aufbau formeller und informeller Kooperationsnetzwerke kann die Zusammenarbeit zwischen einzelnen Organisationen vertiefen und neue Wege der Kooperationen öffnen. Beispiele für formelle und informelle Zusammenschlüsse, Netzwerke und Kooperationsmechanismen sind in den Kästen 2.3, 2.4 und 2.5 enthalten. Darüber hinaus können auch formelle oder informelle Instrumente zur gezielten Förderung des Informationsaustauschs eingesetzt werden, beispielsweise formlose Gespräche und ein Erfahrungsaustausch, Grundsatzvereinbarungen oder interoperable Datenbanken, die einen Abgleich verfügbarer Verwaltungsdaten ermöglichen. Zu den Vorteilen von Kooperationsmechanismen gehören effizientere Verfahren durch Informationsaustausch und das Bündeln von Ressourcen sowie die Förderung des Wissensaustauschs.
2.3.2. Konkurrenzdenken
Konkurrenzdenken ist eine weitere Herausforderung, die die Zusammenarbeit erschwert. Konkurrenzdenken entsteht in Situationen, in denen mehrere Organisationen um eine begrenzte Menge an Ressourcen konkurrieren oder in denen ein sozialer Vergleich stattfindet, d. h. jeder versucht, den anderen zu übertrumpfen (Wang, H., L. Wang und C. Liu, 2018[14]). Gesundes Konkurrenzdenken hat durchaus seine Vorteile, z. B. fördert es Innovationen und steigert die Effizienz. Gleichzeitig kann es sich aber auch negativ auf den politischen Prozess auswirken und die Zusammenarbeit beeinträchtigen.
Daher muss hier auf das richtige Gleichgewicht geachtet werden, um einerseits die Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen Einrichtungen zu fördern und andererseits Innovationen und Effizienz zu begünstigen. Damit Kooperationen auf Dauer aufrechterhalten werden können, müssen Kosten und Nutzen im Verhältnis stehen, d. h. der Nutzen einer Zusammenarbeit muss höher liegen als die Kosten, die sie verursacht (Stewart, 2015[15]). Bei langfristigen Kooperationen kann sich mit der Zeit eine gewisse Nachlässigkeit einstellen, die ihre Wirksamkeit beeinträchtigt. Eine Garantie für den langfristigen Erfolg einer Zusammenarbeit gibt es nicht. Es hilft allerdings, ihre Vorteile klar hervorzuheben. Bestehen allerdings zu viele Anreize zur Zusammenarbeit, ist es möglich, dass das Wesentliche aus dem Blick gerät (Stewart, 2015[15]). In einigen Ländern wurde dem Konkurrenzdenken zwischen den einzelnen Behörden durch eine stärkere administrative Koordinierung entgegengewirkt. So ist die französische Antikorruptionsbehörde direkt an der Koordinierung der Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Akteuren beteiligt, indem sie z. B. Informationen über die Prävention und Aufdeckung von Fällen von Korruption, missbräuchlicher Einflussnahme, Erpressung, illegaler Vorteilsnahme, Unterschlagung und Begünstigungspolitik zentral erfasst und an die zuständigen Stellen weiterleitet. Darüber hinaus schließt die Behörde Kooperationsabkommen und Grundsatzvereinbarungen mit anderen öffentlichen Einrichtungen, die sich gegen Korruption einsetzen, wodurch die Kooperationsbeziehungen zwischen den Einrichtungen formalisiert und deren Handlungsfelder klar abgesteckt werden. So wird der Informationsaustausch erleichtert und es können neue Synergien entstehen.
Literaturverzeichnis
[11] FÖD Kanzlei des Premierministers (o. J.), “Generaldirektion Sekretariate und Koordinierung”, https://chancellerie.belgium.be/de/organisation/generaldirektion-sekretariate-und-koordinierung.
[6] Government of France (2016), Loi n° 2016-483 du 20 avril 2016 relative à la déontologie et aux droits et obligations des fonctionnaires, https://www.legifrance.gouv.fr/affichTexte.do?cidTexte=JORFTEXT000032433852&categorieLien=id.
[7] Hoekstra, A. (2015), “Institutionalizing Integrity Management”, in Ethics in Public Policy and Management, Routledge, https://doi.org/10.4324/9781315856865-9.
[10] IBN (o. J.), “IBN – Integritätsbeauftragten-Netzwerk”, https://integritaet.info/ (Abruf: 18. September 2019).
[9] OECD (2017), OECD Integrity Review of Mexico: Taking a Stronger Stance Against Corruption, OECD Public Governance Reviews, OECD Publishing, Paris, https://dx.doi.org/10.1787/9789264273207-en.
[1] OECD (2017), OECD-Empfehlung des Rats zu Integrität im öffentlichen Leben, OECD, Paris, https://www.oecd.org/gov/ethics/recommendation-public-integrity.
[2] OECD (2009), “Towards a Sound Integrity Framework: Instruments, Processes, Structures and Conditions for Implementation”, Konferenzpapier, GOV/PGC/GF(2009)1, Globales Forum Öffentliche Governance, OECD, Paris, http://www.oecd.org/officialdocuments/publicdisplaydocumentpdf/?doclanguage=en&cote=GOV/PGC/GF(2009)1.
[12] Office of the Conflict of Interest and Ethics Commissioner (o. J.), “Canadian Conflict of Interest Network”, https://ciec-ccie.parl.gc.ca/en/About-APropos/Pages/CCOIN.aspx (Abruf: 18. September 2019).
[13] Riberio, F., A. Giacoman und M. Trantham (2016), Dealing with market disruption & Seven strategies for breaking down silos, strategy&, PwC, https://www.strategyand.pwc.com/gx/en/insights/2016/dealing-market-disruption/dealing-with-market-disruption.pdf.
[8] Sampford, C., R. Smith und A. Brown (2005), “From Greek Temple to Bird’s Nest: Towards A Theory of Coherence and Mutual Accountability for National Integrity Systems”, Australian Journal of Public Administration, Vol. 64/2, S. 96-108, https://doi.org/10.1111/j.1467-8500.2005.00445.x.
[3] Stadt Amsterdam (o. J.), “Bureau Integriteit”, https://www.amsterdam.nl/bestuur-organisatie/organisatie/bestuur-organisatie/bureau-integriteit/ (Abruf: 11. September 2019).
[4] Stadt Paris (o. J.), “La commission de déontologie des élu·e·s du Conseil”, https://www.paris.fr/pages/la-commission-de-deontologie-des-elu-e-s-du-conseil-de-paris-3167/#autres-cas-de-saisine (Abruf: 11. September 2019).
[5] Stadt Straßburg (o. J.), “Charte de déontologie”, https://www.strasbourg.eu/charte-deontologie (Abruf: 11. September 2019).
[15] Stewart, A. (2015), “Why do we cooperate?”, Weltwirtschaftsforum, https://www.weforum.org/agenda/2015/03/why-do-we-cooperate/ (Abruf: 11. September 2019).
[14] Wang, H., L. Wang und C. Liu (2018), “Employee Competitive Attitude and Competitive Behavior Promote Job-Crafting and Performance: A Two-Component Dynamic Model”, Frontiers in Psychology, Vol. 9, https://doi.org/10.3389/fpsyg.2018.02223.