Anhang A. Bestandsaufnahme der seit dem Kommissionsbericht von 2009 in der Agenda zur Wohlstandsmessung jenseits des BIP erzielten Fortschritte

Seit seiner Veröffentlichung im Jahr 2009 ist der Bericht der Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission in der statistischen Fachwelt auf große Resonanz gestoßen und hat weltweit zahlreiche Initiativen zur Verbesserung der Wohlstandsmessung angeregt. Er fungierte auch als Katalysator für Forschungszwecke und Diskussionen über die „Beyond GDP“-Agenda in der Öffentlichkeit. Einige der wichtigen Vorhaben sind weiter unten dargelegt. Dabei wird zwischen Initiativen unterschieden, die von einzelnen Ländern auf nationaler Ebene ergriffen werden, und Initiativen, die von internationalen Stellen in einer globaleren Perspektive unternommen werden.

Viele Länder haben die von der Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission 2009 vorgelegte Agenda zur Wohlstandsmessung mit Leben gefüllt, indem sie Initiativen mit Rahmenkonzepten und Indikatoren-Dashboards ergriffen haben, die mittlerweile veröffentlicht sind und regelmäßig aktualisiert werden. Zwar gehen einige dieser Initiativen auf die Zeit vor Erscheinen des Kommissionsberichts zurück, doch hat der Bericht sicherlich dazu beigetragen, den Trend zu beschleunigen. Tabelle A.1 liefert einen detaillierten Überblick über die 15 bedeutendsten nationalen Initiativen zur Wohlstandsmessung, die explizit auf die Empfehlungen der Kommission Bezug nehmen. Dabei werden für jede Initiative das Rahmenkonzept und die für die Kompilation der Indikatoren zuständige federführende Instanz aufgeführt. Obwohl die Beweggründe für die Erstellung von Messrahmen in den einzelnen Ländern unterschiedlich sind, haben sie dennoch einige Merkmale gemeinsam:

  • Erstens wurde in allen Rahmenkonzepten ein multidimensionaler Ansatz verwendet, in dem in der Regel Daten über die wirtschaftlichen Umstände und materiellen Lebensbedingungen der Menschen mit Indikatoren kombiniert wurden, die ein breites Spektrum an Bestimmungsfaktoren der Lebensqualität erfassen.

  • Zweitens wurde die breite Öffentlichkeit häufig in diese nationalen Initiativen einbezogen. Auch wenn diese Konsultationen mit unterschiedlicher Intensität vorgenommen wurden, und sich entweder auf die Indikatoren oder die einzelnen Dimensionen des Rahmenkonzepts konzentrierten, trugen sie alle dazu bei, dem Indikatorkatalog die notwendige „Legitimität“ zu verleihen und sicherzustellen, dass die Berichterstattung langfristig akzeptiert wird (Kasten A.1).

  • Drittens gehören Messgrößen des subjektiven Wohlbefindens in den meisten Fällen auch zu den Kernkomponenten dieser Indikatorensets. In den nationalen Indikatorenkatalogen wurde hierfür am häufigsten der Indikator der Lebenszufriedenheit verwendet, manchmal wurden aber auch andere Arten subjektiver Messgrößen einbezogen, wie beispielsweise Kennzahlen für das erfahrungsbasierte und das eudämonistische Wohlbefinden. In allen Fällen wurden diese subjektiven Messgrößen ergänzend zu den objektiven verwendet und nicht an ihrer Stelle.

Die auf internationaler Ebene durchgeführten Arbeiten haben sich schwerpunktmäßig darauf konzentriert, bereits existierende statistische Informationen zu sammeln und ein solides Fundament für die künftige Verbesserung der Statistiken zur Lebensqualität zu schaffen. Im Jahr 2011 stellte die OECD beispielsweise ein Rahmenkonzept zur Messung der Lebensqualität vor, das weitgehend auf den von der Kommission definierten Bereichen und Dimensionen basiert (Kasten A.2). Es wurde um mehrere vergleichbare Indikatoren ergänzt, um die Ergebnisse der Mitgliedsländer verfolgen und vergleichen zu können (d. h. um Stärken und Schwächen zu identifizieren). Die verwendeten Indikatoren stammten größtenteils aus amtlichen Statistiken, stützten sich in Bereichen, für die noch keine qualitativ hochwertigen Statistiken zur Verfügung standen, aber auch auf vergleichbare Messgrößen aus nicht offiziellen Quellen (die als „Platzhalter“ verwendet wurden). Außerdem veröffentlichte die OECD 2016 ein Indikatoren-Dashboard zum wirtschaftlichen Wohlergehen privater Haushalte, mit dem Ziel, kurzfristige Entwicklungen der wirtschaftlichen Bedingungen privater Haushalte aufzuzeigen, die von den BIP-Quartalsdaten abweichen könnten. Dieser Datenvergleich brachte die bedeutenden Unterschiede zwischen den Messdaten auf der Ebene der privaten Haushalte und der Gesamtwirtschaft im Verlauf des Konjunkturzyklus zutage.1

In ähnlicher Weise hat das Statistische Amt der Europäischen Union (Eurostat) in Europa (im Rahmen der breit gefassten „INSEE-Eurostat“-Patenschaftsgruppe zur Messung von Fortschritt, Wohlbefinden und nachhaltiger Entwicklung, die als Reaktion auf die Empfehlungen der Kommission eingerichtet wurde),2 einen Prozess in die Wege geleitet, der in der Erstellung eines Katalogs von Indikatoren für die Lebensqualität mündete (17 Gesamtindikatoren und 9 Dimensionen), die regelmäßig zur Beobachtung der Bedingungen in den EU-Mitgliedsländern verwendet werden (Eurostat, 2017).

Im SDG-Prozess der Vereinten Nationen, der 2015 zur Verabschiedung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung in der VN-Generalversammlung führte (mit den damit einhergehenden Zielen, Zwischenzielen und Indikatoren für ein globales Monitoring), wird ebenfalls betont, dass die Bemühungen zur Entwicklung von Fortschrittsindikatoren, die das BIP ergänzen, fortgesetzt werden sollten.3

Über diese Initiativen zur Erstellung von Indikatoren-Dashboards hinaus bestand ein beachtlicher Teil der Arbeit internationaler Organisationen aber darin, ein Fundament für bessere Wohlstands-Statistiken in der Zukunft zu schaffen. Dabei wurden jene Bereiche besonders berücksichtigt, die in den amtlichen Statistiken derzeit vernachlässigt werden.

  • Im Umweltbereich war die Annahme der Hauptkonten des Systems der Integrierten Umweltökonomischen Gesamtrechnungen (SEEA) durch die Statistikkommission der Vereinten Nationen im Jahr 2012 als internationaler statistischer Standard ein echter Meilenstein (vgl. Kapitel 3). Diese wurden durch Ökosystemkonten ergänzt, die noch als „experimentell“ galten (vgl. auch Kapitel 9 von De Smedt, Giovannini und Radermacher im Begleitband). Der SEEA-Beschluss liegt zwar zeitlich vor der Veröffentlichung des Kommissionsberichts, betrifft aber ein Schwerpunktthema des Berichts. Außerdem wurden die Bemühungen der Länder zur Umsetzung des SEEA-Standards durch die positive Reaktion der statistischen Fachwelt auf den Kommissionsbericht gestärkt.

  • Im Wirtschaftsbereich verabschiedeten die Finanzminister und Zentralbankpräsidenten der G20 im Jahr 2009 Empfehlungen, um einige der durch die globale Finanzkrise zutage getretenen Datenlücken zu schließen. Die Initiative unter der Federführung des Finanzstabilitätsrats und des Internationalen Währungsfonds und mit Beteiligung anderer internationaler Institutionen (wie der OECD) legt den Schwerpunkt auf die Risikoüberwachung im Finanzsektor, die Analyse der Anfälligkeiten, Verflechtungen und Spillover-Effekte (auch grenzüberschreitend) sowie Informationen über wirtschaftliche Ungleichheiten in makroökonomischen Statistiken. Mehrere dieser Aspekte spielten im Bericht von 2009 eine wichtige Rolle.

  • Im Bereich der Arbeitsmarktstatistik wurde in der Überarbeitung der internationalen Standards für die Durchführung von Arbeitskräfteerhebungen explizit auf die Empfehlungen der Kommission Bezug genommen, um die Notwendigkeit der Überarbeitung und Erweiterung der existierenden Standards zu rechtfertigen. Diese soll ermöglichen, die Tätigkeit der Menschen in verschiedenen Formen von (bezahlter und unbezahlter) Arbeit sowie die Unterbeschäftigung besser messen zu können (ILO, 2013).

  • Generell haben mehrere internationale Organisationen in Bereichen, die im Kommissionsbericht besonders hervorgehoben wurden, Arbeiten zur Methodik durchgeführt:

  • Die OECD hat eine Reihe statistischer Leitlinien zur Erstellung vergleichbarer Messgrößen in den Bereichen subjektives Wohlbefinden, Vermögensungleichheiten, Qualität des Arbeitsumfelds und Vertrauen ausgearbeitet und ein Rahmenkonzept entwickelt, um eine gemeinsame Analyse und Messung von Einkommen, Konsum und Vermögen der privaten Haushalte zu ermöglichen.

  • Innerhalb des Systems der Vereinten Nationen wurde in einer Reihe von Initiativen zur Verbesserung der Messmethoden verschiedener VN-Einrichtungen explizit auf den Kommissionsbericht Bezug genommen. Er diente als Ansporn für Arbeiten zur Verbesserung der Qualität und Vergleichbarkeit existierender Statistiken in spezifischen Bereichen. Dazu zählen Zeitverwendung (UNECE, 2013) und Viktimisierung (UNODC, 2015) sowie die Ausdehnung der Forschungsarbeiten auf neue Bereiche (z. B. Governancestatistiken mit der Gründung der UN City Group on Governance Statistics) und die Erstellung eines umfassenderen Rahmenkonzepts zur Messung der nachhaltigen Entwicklung (Empfehlungen der Konferenz Europäischer Statistiker, UNECE, 2014).

Indikatoren-Dashboards (das von der Kommission 2009 vorgeschlagene Instrument) sind für die Ermittlung der Stärken und Schwächen einzelner Länder oder der Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Ländern im Zeitverlauf sehr hilfreich. Weniger ideal sind sie indessen, wenn anhand von Indikatoren mit unterschiedlichen Skalen und Interpretationen mit der Öffentlichkeit (und politischen Entscheidungsträgern) über ein breites Spektrum an Themen diskutiert werden soll. Folglich wurde eine Reihe von Initiativen zur Entwicklung von Instrumenten gefördert, die eine überschaubarere Beschreibung der Lage eines Landes bieten könnten. Die OECD erstellte ein Standardschaubild zum Monitoring der relativen Ergebnisse der Länder, das in vielen Publikationen (vgl. das Beispiel für die Niederlande in Abbildung A.2) verwendet wird. Außerdem richtete sie eine interaktive Internetplattform ein, den Better Life Index,4 der Menschen dazu bewegen soll, sich an der Debatte über die Wohlstandsmessung jenseits des BIP zu beteiligen. Der Better Life Index entspricht einer spezifischen Empfehlung der Kommission.5 Auf der Better Life-Website können Nutzer eine Auswahl von OECD-Wohlstandsindikatoren näher untersuchen und ihren persönlichen internationalen Better Life Index erstellen, indem sie angeben, welche Dimensionen des Wohlergehens für sie am wichtigsten sind. Das UNDP aktualisierte seinerseits den Index der menschlichen Entwicklung (der auf Indikatoren für Einkommen, Gesundheit und Bildung basiert), um den Effekt von Ungleichheiten in diesen Dimensionen zu erfassen. Mehrere nationale Initiativen haben ebenfalls nutzerfreundliche, webbasierte, interaktive Dashboards und Datenanalyseinstrumente eingeführt. Beispiele sind der Bericht des Bundeskanzleramts „Gut leben in Deutschland“ und „Wie geht‘s Österreich?“ von Statistik Austria.

Anmerkungen

← 1. Die von der OECD verwendeten Quartalsindikatoren erstrecken sich auf das verfügbare Realeinkommen der privaten Haushalte, die Nettotransferzahlungen des Staats an private Haushalte, die realen Konsumausgaben privater Haushalte, das Verbrauchervertrauen, die Sparquote der privaten Haushalte, die Verschuldung der privaten Haushalte, das finanzielle Nettovermögen, die Arbeitslosigkeit und die Unterbeschäftigungsquote. Vgl. www.oecd.org/sdd/na/household-dashboard.htm.

← 2. Der Abschlussbericht der Patenschaftsgruppe, der nach seiner Annahme durch den Ausschuss für das Europäische Statistische System im November 2011 veröffentlicht wurde, enthält etwa 50 Maßnahmen, die das Europäische Statistische System ergreifen sollte. Darin wird die Notwendigkeit hervorgehoben, bei der Definition der Lebensqualität einen multidimensionalen Ansatz zu verwenden, Indikatoren zu erstellen, die die Nachhaltigkeit messen, sowie weitere Indikatoren aus den Konten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen hinzuzufügen, die die Situation der privaten Haushalte besser widerspiegeln. Seit 2012 sind diese Maßnahmen in das Europäische Statistische System integriert und nach und nach umgesetzt worden.

← 3. In Absatz 38 der Abschlusserklärung der Konferenz der Vereinten Nationen über nachhaltige Entwicklung in Rio de Janeiro im Juni 2012 heißt es: „Wir sind uns dessen bewusst, dass es in Ergänzung zum Bruttoinlandsprodukt umfassenderer Fortschrittsmaße bedarf, um politische Entscheidungen auf bessere Grundlagen stellen zu können, und ersuchen in dieser Hinsicht die Statistische Kommission der Vereinten Nationen, in Absprache mit den zuständigen Institutionen des Systems der Vereinten Nationen und anderen maßgeblichen Organisationen ein diesbezügliches Arbeitsprogramm in die Wege zu leiten, das auf bestehenden Initiativen aufbaut.“

← 4. www.oecdbetterlifeindex.org.

← 5. Empfehlung 8 lautetet, dass Statistikämter die Informationen bereitstellen sollen, die erforderlich sind, um die Daten zu den verschiedenen Dimensionen der Lebensqualität zu aggregieren, damit verschiedene Indizes konstruiert werden können.

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